Turanien in der Vor- und Frühgeschichte

  • Prof. Dr. Everhard Gscheidt

    Durchaus. Leider wissen wir nicht allzu viel über diese Schule. Sicher ist nur, dass es sich um eine religiöse Einrichtung handelte. Und dass der Priesternachwuchs des Drachenfelser Reichs dort ausgebildet wurde.

    Sigurd Thorwald
    Generaladministrator

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    "Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht."

    "Politischer Stillstand ist der Untergang eines jeden staatlichen Gemeinwesens!"

    "Einer, der Gott leugnet, gleicht einem, der die Sonne leugnet; es nutzt ihm nichts, sie scheint doch."

    Julius Langbehn

    "An Gott glauben nur diejenigen nicht, die ein Interesse daran haben, dass es keinen geben möchte."
    Francis Bacon

  • Prof. Dr. Everhard Gscheidt

    Wenn Sie für den Moment keine weiteren Fragen mehr haben, würde ich gerne fortfahren.
    Ich möchte Ihnen an dieser Stelle kurz skizzieren, wie die Wissenschaft Turaniens Geschichte gliedert. Sie kennen ja bestimmt die klassische Einteilung in Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Diese gibt es prinzipiell auch für Turanien. Allerdings ist sie nicht ganz unumstritten. Man greift deshalb auf eine eher politische Gliederung zurück. Bis zur Mitte des vierten nachchristlichen Jahrhunderts spricht man von der klassischen Zeit der Drei Reiche. Danach folgt die Zeit des Bretwaldatums, abgelöst um 900 durch die Zeit des Kaiserreichs. Die Zeit des Bretwaldatums wird mal zum Altertum gerechnet, mal zum Mittelalter. Mal lässt man das Mittelalter auch um 600 mit der Ankunft des Christentums auf der turanischen Halbinsel beginnen.
    Nun werden Sie vielleicht fragen: Bretwaldatum – was ist denn das? Eine berechtigte Frage! Ich will sie Ihnen kurz beantworten: In jener Spätzeit der Drei Reiche gab es den Titel des Bretwalda. Das heißt "der weithin Herrschende". Formell war das eine Art Oberherrscher der Drei Reiche. Faktisch war es nicht mehr als ein Ehrenvorrang. Anspruch und Wirklichkeit gingen da deutlich auseinander. Zumeist trugen die Könige von Drachenfels den Titel. Manchen von Ihnen waren die beiden anderen Reiche sogar tributpflichtig, den meisten jedoch nicht. Auch übersprang der Bretwalda-Titel manchmal eine oder zwei Generationen, um dann wieder aufgegriffen zu werden.
    Ich komme später auf diese Zeit zurück. Nun wollen wir uns erst einmal zwei zentrale Ereignisse aus der klassischen Zeit der Drei Reiche herausgreifen: Der Kampf um Isenstein und die Zerstörung Alt-Turans. Wissen Sie darüber bereits etwas?

    Sigurd Thorwald
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  • Prof. Dr. Everhard Gscheidt

    Gut, beginnen wir mit dem Kampf um Isenstein. Zwei bekannte mittelalterliche Sagenbücher berichten recht ausführlich davon: das "Buch der alten Zeit" und das "Liber chronicorum". Ersteres stammt aus dem frühen 13. Jahrhundert, letzteres ist gut 100 Jahre jünger. Das sollte man im Hinterkopf behalten. Denn die berichteten Ereignisse sollen um 100 nach Christus stattgefunden haben. Es liegen also mehr als 1000 Jahre dazwischen.
    Nun aber zum eigentlichen Sageninhalt: Dem "Buch der alten Zeit" zufolge war Isenstein – manchmal auch Issenstein, Iskenstein, Iskilad oder Isgillath genannt – eine Stadt des Stammes Galadur. Ihr Name bedeutete ursprünglich wohl "Stein des Isko" bzw. "Heilige Lade des Isko". Bei Isko dürfte es sich um einen mythischen Vorfahren handeln. Der Krieg, von dem die Sagen berichten, beginnt, nachdem der Herrscher von Galadur die Frau des Königs von Aragon raubt. Zehn Jahre belagert daraufhin ein großes Heer aus Aragon die Stadt Isenstein. Erst im elften Jahr fällt Isenstein – weil die Aragonier auf eine göttliche Eingebung hin mit Posaunen so lange um die Stadt ziehen, bis deren Mauern einstürzen.
    Hinter dem Namen Aragon verbirgt sich das Reich von Drachenfels, genauer gesagt dessen Königsgeschlecht. Noch im Mittelalter, als es lange schon kein Drachenfelser Reich mehr gab, war "Herzog von Hohenargen" einer der höchsten Titel des Kaiserreiches. Der Name Hohenargen wiederum kommt von den "hohen Argen", einer Bergkette bei Drachenfels. Kirchensprachlich wurde daraus "Aragon".
    Hinter Galadur verbirgt sich das Gelderland, ein historisch nachweisbarer Gau des Drachenfelser Reiches um das heutige Trondberg. Wenn man nun die sagenhafte Überlieferung zwischen den Zeilen liest, kommt man zu dem Schluss, dass es sich historisch beim Kampf um Isenstein nicht um die Folgen eines Brautraubs gehandelt haben kann. Vielmehr muss das "Teilreich" bei Trondberg auf Kosten der Zentralgewalt in Drachenfels immer unabhängiger geworden sein. Tatsächlich erwähnt eine frühe Chronik aus Drachenfels eine Art Strafexpedition gegen die "Gildinge". So nannte man offenbar die Herrscher des Gelderlands.
    Gut möglich, dass im Zuge dieses auf etwa 123-125 n. Chr. datierten Kriegszugs die Festung Isenstein zerstört wurde. Ihre Überreste hat man übrigens erst vor wenigen Jahren ganz in der Nähe von Trondberg, beim modernen Dorf Eisenstein, ausgegraben. Der Ringwall war verglichen mit der Stadt Drachenfels, die damals 20-30.000 Einwohner gehabt hat, geradezu winzig. Man schätzt, dass dort vielleicht 1000 Menschen lebten.

    Sigurd Thorwald
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    Genau. Die Archäologie spricht von Ringwall, weil die Festungsmauer rund um die Siedlung verlief. Das Gegenteil wäre ein Abschnittswall, der beispielsweise ein Bergplateau oder eine Halbinsel an einer Stelle abriegelt.

    Sigurd Thorwald
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  • Prof. Dr. Everhard Gscheidt

    Nein, einen Abschnittswall gibt es dort nicht.
    Im übrigen noch ein paar Worte zum Namen Isenstein. Wie wir gehört haben, heißt der Ort heute Eisenstein. Das ist die normale lautliche Entwicklung seit dem Hochmittelalter. Damals lag inmitten des bereits zerstörten Ringwalls die viel kleinere Burg der Herren von Isenstein, eines regional bedeutsamen Adelsgeschlechts. Sie wurden manchmal auch Herren von Issenstein genannt, in älteren Quellen auch Herren von Isigenstein. Wie gesagt dürfte das von einem legendären Vorfahren Isko oder Isiko abgeleitet sein.
    Der Namensbestandteil -lad bzw. -lath, der mit dem modernen Wort Lade verwandt ist und sinngemäß Heilige Lade oder Sarkophag bedeutet, wird niemals in Verbindung mit dem Dorf Isenstein und dem lokalen Adelsgeschlecht gebraucht, sondern ausschließlich in Bezug auf die sagenumwobene Festungsstadt in den alten Überlieferungen. Dies ist mit ein Grund dafür, dass der Ringwall auf dem Eisensteiner Burgberg erst vor wenigen Jahren als das Iskilad der Sage identifiziert wurde. Eisenstein und Iskilad klang einfach zu verschieden! Matthäus Königsberger, ein Gelehrter des 16. Jahrhunderts, war da übrigens schlauer: Er schrieb in seinem Buch "Turanische Alterthümer", Iskilad sei heute "eyn Dorff bey Trontberg".

    Sigurd Thorwald
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    Da Sie keine weiteren Fragen zum Thema Isenstein zu haben scheinen, kommen wir nun zum zweiten zentralen Ereignis des turanischen Altertums: zur Zerstörung Alt-Turans. Traditionell wird dieses Ereignis, das zugleich das Ende der klassischen Zeit der Drei Reiche markiert, ins Jahr 344 nach Christus datiert. Doch Vorsicht! Wir haben keine zeitgenössischen schriftlichen Quellen, die dieses Jahr bestätigen. Außerdem gab es damals ja noch gar keine christliche Zeitrechnung. Man rechnete stattdessen in Regierungszeiten der Könige. Man sagte also beispielsweise "im achten Jahr König Dragoberts...". Erst später wurde rückblickend "umgerechnet". Sie können sich vorstellen, was sich da womöglich für Fehler eingeschlichen haben!
    Um die historischen Vorgänge, die zur sagenhaften Zerstörung Alt-Turans geführt haben, zu verstehen, müssen wir den Blick ein wenig weiten und vor allem nach Osten richten. Die Ereignisse der Zeit zwischen 300 und 500 nach Christus werden in der Wissenschaft heute der "Große Völkersturm" genannt. Östlich des Reiches von Turan gärte es, Völker und lokale Gruppen gerieten in Bewegung. Immer wieder drangen Kriegerscharen auf die turanische Halbinsel vor, plünderten und zerstörten. Man erkennt das besonders auf dem Gebiet des Turaner Reichs durch eine massive Zunahme sogenannter Hortfunde. Das sind – laienhaft gesprochen – vergrabene Schätze, oft Münzgeld, aber auch Sakralgegenstände, die offenbar von den Besitzern unter der Erde in Sicherheit gebracht wurden, später aber nicht wieder ausgegraben wurden. Warum wohl? Weil die Besitzer nicht mehr lebten!
    Die Frage, wer diese Angreifer aus dem Osten genau waren, kann heute nicht mehr eindeutig beantwortet werden. Schriftliche Quellen aus Turan gibt es wie gesagt keine. Nur in den Chroniken des Drachenfelser Reiches, das deutlich weniger betroffen war, ist bisweilen von "Ostlingen" die Rede, gegen die das Reich Turan kämpfen musste. Sicherlich waren an den Angriffen Volksgruppen beteiligt, die wir als Vorfahren der späteren Arkonier und Boruzzen in Ostturanien bezeichnen können. Die Kollegin Elana Balta vom arkonischen Zentralrat, die parallel einen Kurs anbietet, kann Ihnen da sicherlich mehr erzählen.
    Was uns interessiert, ist das Schicksal Alt-Turans. Das war damals immerhin nach Drachenfels mit seinen 30.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt auf unserer Halbinsel. Etwa 10.000 Menschen dürften hier gelebt haben. Doch wir müssen wieder vorsichtig sein! Ich sagte "hier". Aber Alt-Turan lag nicht da, wo heute Turan liegt. Archäologische Funde unter der Altstadt von Turan sind nicht älter als 1500 Jahre. Bis ins 20. Jahrhundert hielten deshalb manche Wissenschaftler die Geschichte von Alt-Turan und seiner Zerstörung im Großen Völkersturm für erfunden oder doch für reichlich unwahrscheinlich. Dann aber verwiesen Sprachforscher in den 50er Jahren darauf, dass zwei östliche Vororte Turans, Altendorn und Durstedt, den Namen Turan beinhalten könnten: "Dorn" und "Dur" könnte sich aus "Duran" entwickelt haben! Und tatsächlich fand man bei Ausgrabungen 2000 Jahre alte Siedlungsreste und den Rest eines durch Feuer zerstörten Walls, der wohl einstmals die Königsburg schützen sollte.
    Ich würde Ihnen gern eine grobe Lageskizze Alt-Turans präsentieren... Verflixt, wo ist denn die...? ?( ... Eigentlich müsste sie hier doch... :evil: Moment bitte...!
    Haben Sie bis hierher Fragen?

    Sigurd Thorwald
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  • Der Professor sucht verzweifelt in seiner Aktentasche nach der Lageskizze. Es ist ihm sichtlich peinlich. Dann, nach Minuten des verzweifelten Suchens murmelt Gscheidt etwas, das sich für die erste Reihe der Zuhörer wie "Aaah, da ist das Ding ja..." anhört. Der Professor zerrt eine Folie aus seiner Tasche, geht schlurfend zum Tageslichtprojektor und legt die Folie darauf. Er schaltet das Gerät an ... und schon wird eine grobe Skizze an die Wand projiziert.



    Prof. Dr. Everhard Gscheidt

    Sie sehen auf meiner Skizze die Lage der mittelalterlichen Stadt Turan, in grob vereinfachter Form die Stadtmauer um die Altstadt. Dieses mittelalterliche Turan liegt zwischen den Flüssen Rega und Singold. Die Singold ist heute ja kaum mehr als ein Bach. Aber noch vor 600 Jahren konnte man mit Fug und Recht von Fluss sprechen.
    Östlich der Altstadt, jenseits der Singold, sehen Sie zwei Hügel. Auf dem nördlichen der beiden liegt heute der durch Villen geprägte Nobelvorort Königsforst. Sein Name stammt – Sie werden es sich vielleicht denken können – vom königlichen Forst, also dem Wald des Königs, der sich im Mittelalter dort erstreckte und in dem nur der König bzw. Kaiser jagen durfte.
    Südlich von Königsforst liegt ein weiterer Hügel. Auf ihm liegen heute die Vororte Altendorn und Durstedt. Der eingezeichnete Ringwall ist sehr wahrscheinlich die einstige Königsburg Alt-Turans. Sie müssen wissen: Eine Stadtmauer, die um die gesamte Stadt verlief, gab es offenbar noch nicht. Nur die Königsburg war befestigt. Das könnte ein Grund sein, warum Alt-Turan zerstört wurde. Weil es keine Stadtmauer hatte! Nach der Zerstörung galt der Hügel wohl als zu unsicher. Also verlegte man die Stadt auf das sicherere Gebiet zwischen Rega und Singold.
    Was die Ursachen für den Großen Völkersturm waren, ist nicht hinreichend geklärt. Man vermutet Missernten oder eine gewisse Klimaverschlechterung, die die Völker im Landesinneren mehr traf als die turanische Halbinsel. Wir können nicht einmal völlig ausschließen, ob nicht eine Expansion des Turaner Reichs nach Osten die dortigen Völker erst hellhörig machte.

    Sigurd Thorwald
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    Nein, ein Bauernaufstand war das nicht. Natürlich reden wir hier von Völkern, die zu fast 100 Prozent aus Bauern bestanden. Aber ein Aufstand würde ja bedeuten, dass sich einheimische Bauern gegen ihren König erhoben. Das können wir aufgrund der archäologischen Funde ausschließen. Nein, der Große Völkersturm war eine Welle von Angriffen hochmobiler Kriegerscharen aus dem Osten.
    Die Angriffe schwächten das Reich von Turan so sehr, dass die Könige von Drachenfels in der Lage waren, sich als Bretwalda zum Oberherrscher der Drei Reiche zu erklären. Turan hatte dem anfangs nichts entgegen zu setzen und fand erst im sechsten Jahrhundert, nach dem Ende der Angriffe aus dem Osten, wieder zu alter Stärke. Es gelang sogar einigen Turaner Königen, sich selbst zum Bretwalda zu erklären, vor allem ab 800 nach Christus. Das hatte einen Grund: Drachenfels hatte seinen Zenit überschritten. Interne Machtkämpfe und die zunehmend aggressive Haltung der Könige von Turan schwächten Drachenfels nachhaltig. Am Ende starb das Drachenfelser Königsgeschlecht in männlicher Linie aus. Der Adel des Reiches berief nun ausgerechnet den König von Turan, Bretwalda Siegfried, zum Herrscher von Drachenfels. Siegfried, durch seine Mutter selbst Drachenfelser Abstammung, ließ sich nicht lange bitten und vereinigte die beiden Reiche. Sich selbst ließ er durch den Patriarchen von Königsberg 911 zum Kaiser krönen.
    Damit endet die turanische Frühgeschichte und das klassische Mittelalter, die Zeit des Kaiserreichs, beginnt. Unser Kurs ist damit aber noch nicht beendet, keine Sorge. Haben Sie denn Fragen?

    Sigurd Thorwald
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  • Prof. Dr. Everhard Gscheidt

    Naja, Kaiser kann man nicht sagen. Denn so nannte sich ja erst der letzte Bretwalda Siegfried. Aber Oberkönig trifft es ganz gut. Wobei wir nicht vergessen sollten, dass den meisten jener Bretwaldas tatsächlich die Macht eines Oberkönigs fehlte. Sie waren faktisch nur Könige ihres eigenen Reiches mit einem schönen klangvollen Ehrentitel.

    Sigurd Thorwald
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    Wie ich sehe, haben Sie im Moment keine weiteren Fragen. Sollte sich das ändern, besteht am Ende des Kurses noch einmal die Möglichkeit, Unklarheiten zu beseitigen und eventuell noch vorhandene Wissenslücken zu schließen.
    Wir kommen damit zur letzten großen Etappe unseres Kurses: zur Christianisierung der turanischen Halbinsel. Wie Sie vielleicht wissen, ging die Missionierung von der Erzabtei St. Michael auf der Insel Rungholm vor der turanischen Küste aus, dem berühmten St.-Michaelskloster. Das traditionelle Jahr seiner Gründung, das auch die turanisch-katholische Kirche angibt, ist 529 nach Christus. Andere Quellen nennen dagegen das Jahr 611. Dazwischen liegen immerhin mehr als 80 Jahre!
    Denkbar wäre, dass 529 in Wirklichkeit nicht das Gründungsjahr des Klosters war, sondern das Geburtsjahr des ersten Abtes und Missionars von Turanien, der in späteren Quellen unter dem Namen "Benedictus" erscheint. Das ist kirchensprachlich und bedeutet wörtlich "Der, der Gutes sagt" oder "Der Segnende". Ein passender Name für den ersten großen Missionar, wenn Sie mich fragen! Dabei ist nicht einmal klar, ob der Mann in Wirklichkeit überhaupt so hieß bzw. ob er jemals lebte. Im Kloster wird jedenfalls sein angebliches Grab gezeigt. Wissenschaftlich untersucht wurde das bislang nicht.
    Sicher scheint mir nur zu sein, dass wir die Anfänge des Christentums in Turanien ins sechste Jahrhundert datieren können. Erstmals schriftlich erwähnt wurden Christen in einer Drachenfelser Chronik. Unter dem Jahr 608/609 heißt es darin, dass König Wisimar "die schwarzen Kutten des Lichtgottes aus dem Süden" empfing, ein klarer Hinweis auf die Kleidung christlicher Mönche. König Wisimar im übrigen, der Sohn Wisigasts, gilt als großer Förderer der Kultur. Er soll das Christentum nach Kräften unterstützt haben, ohne sich selbst je taufen zu lassen. Vermutlich stammt die in manchen Quellen genannte Jahreszahl 611 von jenem Empfang in Drachenfels, den wir auf 608 oder 609 datieren können und der wohl als eine Art offizielle Anerkennung seitens des Königs gewertet werden darf.
    In jener Zeit stand das Drachenfelser Reich auf dem Höhepunkt seiner Macht. Fast das gesamte Gebiet westlich und südlich des Altmassivs unterstand direkt oder indirekt seinen Königen. Das war immerhin eine Küstenlinie von vielleicht 700 Kilometern und fast die Hälfte der turanischen Halbinsel. Sie können sich die Größe des Reiches über die Landkarte erschließen, die ich für Sie zur Orientierung an die Wand projiziere. Bedenken Sie auch: Das war eine Zeit relativen Friedens und großer Stabilität! Kein Wunder, dass sich das Christentum da ausbreiten konnte. Vor allem viele Menschen aus dem einfachen Volk ließen sich taufen, auch einige Adlige, aber nur wenige aus der Königssippe.
    Eine zentrale Wegmarke der Christianisierung war sicherlich, als der Wanderprediger Augustinus – wohl um das Jahr 750 – im heutigen Königsberg den dortigen heidnischen Oberpriester in einem Wunderwettstreit besiegte und dessen gesamte Priesterschaft zum christlichen Gott bekehrte. So erzählt es jedenfalls die kirchensprachliche "Vita Augustini", die um das Jahr 1000 entstanden ist. Man muss deren Inhalt mit Vorsicht genießen, selbstverständlich. Die Wundergeschichten glaubt heute natürlich niemand mehr. Aber im Kern dürfte die Geschichte wahr sein. Zumindest ist Augustinus als historische Person belegt. In den Listen der Bischöfe und Erzbischöfe von Königsberg steht er stets an erster Stelle.
    Das bringt mich zu der Frage, weshalb eigentlich Königsberg der Sitz des katholischen Patriarchen ist – und nicht etwa die Kaiserstadt Turan, die alte Königsstadt Drachenfels oder gar das St.-Michaelskloster. Nun, die Überlieferung beantwortet diese Frage eindeutig. Sie besagt, dass Augustinus durch seinen wundersamen Sieg nicht nur einen unter vielen heidnischen Priestern bekehrte, sondern den höchsten Priesterkönig der gesamten turanischen Halbinsel. Das mag Übertreibung sein – aber es gibt durchaus Hinweise darauf, dass Königsberg in heidnischer Zeit eine Art Oberheiligtum war.
    Schon aus der Zeit vor mehr als 3000 Jahren wurden wertvolle Funde im Umland von Königsberg gemacht. Es scheint, als ob der Hügel, auf dem die Stadt erbaut wurde, in der Bronzezeit neben Widhag bei Heimgard ein Zentrum der Kultur war. Aus späteren Quellen wissen wir mehr. So erwähnt eine Chronik, dass anlässlich der Krönung des Drachenfelser Königs Dragobert um das Jahr 200 "der König von Turan mit großem Gefolge und eine Gesandtschaft der Priester vom Berge" zugegen waren. Jene "Priester vom Berge", die mit großer Wahrscheinlichkeit aus Königsberg stammten, werden unmittelbar neben dem König von Turan genannt und standen ihm wohl gleichrangig gegenüber. Das macht die Deutung der Sage möglich, dass es sich um einen "Priesterkönig" handelte, der damals auf dem Stadthügel von Königsberg herrschte.
    Haben Sie Fragen bis hierher?


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