Verfassungsgutachten Artikel 45

  • Sehr geehrter Herr Saxburger,
    in den Reihen der Nationalversammlung besteht Uneinigkeit über die Auslegung von Artikel 45 der Föderationsverfassung. Parlamentspräsident Abeken lehnte einen Antrag auf Aussprache über einen Gesetzesentwurf mit der Begründung ab, der Entwurf kombiniere eine verfassungsändernde und eine einzelgesetzliche Rechtsnorm. Eine Abstimmung darüber sei nicht möglich. Stattdessen müsse entweder der Entwurf oder die Abstimmung zweigeteilt werden. Eine Zweiteilung der Abstimmung aber ist meines Erachtens verfassungsrechtlich nicht möglich.
    Artikel 45 sagt aus, dass die Verfassung "nur durch ein Gesetz geändert werden [kann], das den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich ändert oder ergänzt". Er verbietet ausdrücklich nicht, dass ein solches Gesetz auch einzelgesetzliche Normen enthält. Selbstverständlich bedarf es aber für ein solches kombiniertes Gesetz die durch Artikel 45 vorgeschriebene Zweidrittelmehrheit in der Nationalversammlung.
    Herr Vorsitzender, der Antragsteller bittet Sie, zu dieser rechtlichen Auslegungsfrage im Rahmen eines Verfassungsgutachtens Stellung zu beziehen.


    Mit freundlichen Grüßen
    Sigurd Thorwald

    Sigurd Thorwald
    Generaladministrator

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  • Oberster Gerichtshof
    der Turanischen Föderation



    VERFASSUNGSRECHTLICHE
    STELLUNGNAHME


    Auf Anfrage des Generaladministrators Sigurd Thorwald vom 07.10.2013 gibt der Oberste Gerichtshof folgende Stellungnahme ab:


    Nach Ansicht des Gerichts sollten Gesetzgebungsverfahren für verfassungsändernde Gesetze gemäß Artikel 45 der Föderationsverfassung von anderen Entscheidungs- oder Beschlussverfahren in der Nationalversammlung und im Föderationsrat getrennt behandelt werden.


    Begründung:


    Nach Artikel 45 der Föderationsverfassung kann diese nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich ändert oder ergänzt. Weiterhin ist in Artikel 45 bestimmt, dass ein solches verfassungsänderndes Gesetz der Zustimmung des Föderationsrats und von zwei Dritteln der Stimmen der Nationalversammlung bedarf.


    Andere Föderationsgesetze sowie Verträge und Abkommen mit auswärtigen Staaten werden gemäß Artikel 42 von der Nationalversammlung nur mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschlossen. Der Föderationsrat ist bei diesen Beschlüssen nicht zustimmungspflichtig sondern besitzt nur ein Vetorecht.


    Gesetze mit verfassungsändernden Bestimmungen und andere Gesetze haben also grundsätzlich unterschiedliche Beschlussvoraussetzungen und damit wesentlich andere Gesetzgebungsverfahren zu durchlaufen. Um die verfassungsrechtlich unterschiedlichen Wertigkeiten von verfassungsändernden und anderen, sogenannten einfachgesetzlichen Regelungen auch im Gesetzgebungsverfahren zu wahren empfiehlt das Gericht, beide Arten von Regelungen stets in getrennten Gesetzen und damit getrennten Gesetzgebungsverfahren zu behandeln.


    Die streng wörtliche Auslegung des Artikels 45 der Föderationsverfassung legt zwar nahe, dass in einem Gesetz verfassungsändernde und auch andere Bestimmungen zusammengefasst und unter Einhaltung der Zustimmungspflicht des Föderationsrat und der qualifizierten Mehrheit in der Nationalversammlung auch gemeinsam beschlossen werden könnten. Die Auslegung des Artikels 45 unter Beachtung des Sinnes seiner Bestimmungen, dem damit verfolgten Ziel und der turanischen Verfassungs- und Gesetzgebungstradition lässt jedoch das Gericht von einer vom Verfassungsgeber gewollten Trennung so unterschiedlich wertigen Gesetzgebungsverfahren ausgehen.


    Nach Ansicht des Gerichts hat über die Ausgestaltung der einzelnen Gesetzgebungsverfahren und deren Durchführung die Nationalversammlung in Person ihres Präsidenten zu entscheiden. Gegen Entscheidungen des Präsidenten der Nationalversammlung zu Gesetzgebungsverfahren ist im Streitfall das Rechtsmittel der Verfassungsbeschwerde gegeben.


    Diese Stellungnahme gibt ausschließlich die derzeitige Auffassung des Gerichts zu der gestellten verfassungsrechtlichen Frage wider. Sie bindet das Gericht in keiner Weise für ein zukünftig eventuell anhängig werdendes verfassungsgerichtliches Verfahren über den selben oder einen ähnlichen Verhandlungsgegenstand.


    Turan, 09.10.2013



    Vorsitzender Richter


    fld_50.pngAttila Saxburger
    Landeshauptmann der Republik Schwion
    Vorsitzender Richter am Obersten Gerichtshof a.D.
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