Das Turanische Kaiserreich

  • Seminarraum II/21 im zweiten Obergeschoss des VHS-Gebäudes in Turan ist noch verwaist. Professor Dr. Gscheidt ist nirgends zu sehen. Auch Teilnehmer sind noch keine anwesend. Auf einigen der Tische liegen lose Blätter mit dem Inhalt des Kurses. Offenbar hat sie ein Verwaltungsangestellter der Volkshochschule hier ausgelegt.


    Kurs 13/005
    Das Turanische Kaiserreich – Entstehung, Entwicklung und Untergang
    Dozent: Prof. Dr. Everhard Gscheidt


    Wie entwickelte sich die turanische Halbinsel nach der Gründung des Kaiserreichs? Wie kam es zu den Nordischen Kriegen gegen das heidnische Reich von Heimgard? Wie entwickelten sich die turanischen Städte im Mittelalter? Wie kamen Ostturanien und Neuturanien zu unserem Land und welche Rolle spielten die Turanische Hanse und der Turanische Orden dabei? Weshalb zerbrach das Kaiserreich? Wenn Sie Antworten auf diese und andere Fragen zur mittelalterlichen Geschichte Turaniens wollen, sind Sie bei diesem Kurs richtig. Professor Gscheidt lässt (fast) nichts unbeantwortet.

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Der Professor schlurft in seinem bekannten gemächlichen Schritt zur Tür herein und legt einige Unterrichtsmaterialien auf den Tisch. Er wirkt angeschlagen, erkältet. Seine Nase ist vom vielen Schnäuzen gerötet. Offenbar eine Folge der nasskalten Exkursion zum Widhag.


    Guten Tag...!

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Winter ist zum Glück noch nicht ... *schnief* ... aber ich bin ein wenig angeschlagen. Ich hab mir wohl am Widhag eine Erkältung eingefangen ... *schnief* ... Muss mich deshalb etwas dicker einpacken.

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Danke!
    Na, Herr Odinsson, Sie sind wohl wieder mit Interesse dabei. Freut mich! Zunächst einmal ... *schnief* aber meinen herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Kanzler.

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Werte Damen und Herren, ich werde schon einmal langsam in den Kurs einsteigen. Vielleicht stoßen ja noch weitere Interessenten zu uns. Wie Sie wissen bin ich kein Experte auf dem Gebiet der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte. Daher kann ich Ihnen nur einen groben Überblick über Entstehung und Entwicklung des Kaiserreiches geben. Sollte Ihnen ein bestimmtes Thema auf den Nägeln brennen, so zögern Sie bitte nicht, mich darauf anzusprechen, sollte ich es nicht selbst zur Sprache bringen. Wenn ich Ihnen dann keine erschöpfende Antwort geben kann, bitte ich um Nachsicht. Ich werde aber mein Bestes geben. Im Einzelnen soll unser Kurs folgende Themenbereiche umfassen:


    [list=1]
    [*]Die Entstehung eines Kaiserreichs – Rückblicke auf die Frühgeschichte
    [*]Die "Nordischen Kriege" Kaiser Guntrams und ihre Folgen
    [*]Die Eroberung der Ostmark
    [*]Der Turanische Orden – Entstehung und Geschichte
    [*]Welthandel im Mittelalter: Die Turanische Hanse
    [*]Wie Neuturanien zum Kaiserreich kam
    [*]Staatsstrukturen im Wandel: Die "Große Reichs-Reformation" von 1610
    [*]Der Achtjährige Krieg und der neue Kolonialismus
    [*]Ostfeldzug und Bürgerkrieg: Das Ende des Kaiserreichs
    [/list=1]
    Gibt es bis hierher Fragen?

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Gut, dann würde ich sagen: Legen wir los und kommen gleich zum ersten Themenbereich des Kurses, "Die Entstehung eines Kaiserreichs – Rückblicke auf die Frühgeschichte". Dem ein oder anderen wird das jetzt bekannt vorkommen, aber ich versuche selbstverständlich, so wenig wie möglich aus dem Vorgänger-Kurs zu wiederholen. Ganz vermeiden lässt es sich natürlich nicht.
    Wie Sie wissen, geht das Turanische Kaiserreich auf das Bretwaldatum zurück, auf die mehr oder weniger lockere Oberherrschaft eines der drei Reiche der Frühzeit. Der letzte Bretwalda, Turans König Siegfried, war Urenkel des Drachenfelser Königs Reidmar. Nach dessen Tod versank das Reich von Drachenfels in einem Bürgerkrieg, an dessen Ende die Königslinie im Mannesstamm ausstarb. Der Thronrat musste einen neuen König wählen – und wählte Siegfried! Dieser war damit König von Turan und von Drachenfels. Er vereinigte die beiden Reiche und beherrschte damit mit einem Mal gut zwei Drittel der turanischen Halbinsel.
    Noch wenige Generationen zuvor waren die Könige von Drachenfels unbestrittene Herren der Halbinsel gewesen. Die Könige auf dem Drachenthron herrschten von der Mündung der Wesau bis zum Freyengau, darüber hinaus über die Inseln Seeland und Rungholm sowie bis zum Bergbaugebiet am Fuß des Adlerhorns und zum Wolfsberger Hügelland. Von Osten aber drängten die Turanen übers Altmassiv. Sie eroberten das Gebiet um Königsberg und drängten die Drachenfelser dann bis fast zum Freyengau zurück. Vielleicht sagt Ihnen der Begriff "Altland" etwas? Er ist noch heute im "Altländer Wein" enthalten, der im Großraum Turan angebaut wird. Altland oder Altes Land nannten die Turanen ihr ursprüngliches Reichsgebiet nördlich des Altmassivs. Die Gebiete südlich des Gebirges waren entsprechend das "Neue Land".
    Die Turanen des Altlandes hatten damals die höchste Geburtenrate der ganzen Halbinsel. Entsprechend dicht besiedelt war das Gebiet. Ein unhaltbarer Zustand! Die hohe Geburtenrate hatte einen einfachen Grund: die äußerst fruchtbare Landschaft. Als nun im Frühsommer des Jahres 911 Bretwalda Siegfried zum König von Drachenfels gewählt wurde, brachen alle Dämme. Unzählige Siedler zogen in den darauffolgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten in das Gebiet um Freyburg, in die Kurmark und den Freyengau, wo sie sich mit der einheimischen Bevölkerung vermischten. Bereits im 12. Jahrhundert wurde dieses Gebiet aufgrund des Zuzugs der Turanen in der Kirchensprache als "Turania minor" (=Kleinturanien) bezeichnet – im Gegensatz zum Altland, das "Turania maior" (=Großturanien) genannt wurde.
    Staatsrechtlich änderte sich übrigens im Jahr 911 nicht viel. Siegfried wurde Doppelkönig von Turan und Drachenfels. Es gab zunächst weiterhin zwei Fürstenräte – für jedes Reich einen. Auch die verschiedenen Thronrechte blieben erhalten. Das machte sich beim Tod Siegfrieds bemerkbar: Sein Sohn wurde durch Erbrecht automatisch König von Drachenfels, nicht aber von Turan, wo der König von den Fürsten gewählt wurde. Siegfried hatte daher seinen Sohn wohlweislich noch zu seinen eigenen Lebzeiten zum Thronfolger wählen lassen. Dieser "Geburtsfehler" des Kaiserreiches wurde erst später bereinigt.
    Nun werden Sie vielleicht fragen: Wieso redet der eigentlich die ganze Zeit von "König"? Es geht doch um den Kaiser, um das Kaiserreich! Völlig richtig: Es geht um das Kaiserreich. Aber das war eben zunächst nichts anderes als die durch den gemeinsamen König verbundenen Reiche von Drachenfels und Turan. "Kaiser" war nicht viel mehr als der Ehrentitel des gemeinsamen Königs. Die förmliche Kaiserkrönung des Doppelkönigs Siegfried durch den Patriarchen von Königsberg im September 911 – übrigens auf dessen Rückreise nach Turan – war zwar etwas unerhört Neues: nämlich die erstmalige Krönung durch einen Geistlichen. Viel mehr aber auch nicht! Der Kaiser hatte durch seinen Titel nicht plötzlich mehr Befugnisse als der König. In kirchensprachlichen Dokumenten wird noch deutlicher, dass sich im Vergleich zur Bretwalda-Zeit nicht viel verändert hatte: Sowohl der Kaiser als auch der Bretwalda werden als "imperator" bezeichnet, ihre Herrschaft übereinstimmend als "imperium". Das ist ursprünglich ein militärischer Ausdruck und heißt in etwa: Oberbefehl.
    Was die übrigen Bezeichnungen angeht, hat sich dann aber doch etwas mehr getan. So war der volle Titel des Kaisers nach 911 "Erhabener Kaiser und Beschützer des christlichen Glaubens, König von Turan und Drachenfels". Das Reich wurde in offiziellen Dokumenten nicht mehr "regnum t(h)uranum" (Reich von Turan) genannt, sondern "imperium t(h)uran(ic)um" oder "sacrum imperium" (Heiliges Reich). Die Bezeichnung "sacrum imperium t(h)uranorum" (Heiliges Reich der Turanier) ist erst später in Gebrauch gekommen, als sich alle Stämme der Halbinsel als Turanier verstanden.


    Ist soweit alles klar oder haben Sie Fragen?

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Das freut mich! Ich mache daher jetzt mit Teil 2 des Kurses weiter: Die "Nordischen Kriege" Kaiser Guntrams und ihre Folgen. Im engeren Sinne beschreibt der Begriff einen Feldzug des Jahres 993 bis 997, der im Untergang des Heimgarder Reiches gipfelte. Um zu verstehen, wie es dazu kam, gehe ich zunächst noch einmal zurück in die Jahre nach der Kaiserkrönung König Siegfrieds.
    Der Kaiser forderte nämlich die förmliche Huldigung durch das Nordreich. Das war nichts völlig Außergewöhnliches. Auch die Bretwaldas vor ihm hatte das gelegentlich getan. Manche hatten die Huldigung erhalten, andere nicht. Was die Forderung Kaiser Siegfrieds von allen früheren unterschied, war die Tatsache, dass er sich auf die beiden vereinigte Reiche von Turan und Drachenfels stützen konnte. Das kleine Nordreich musste sich vorgekommen sein wie David gegen Goliath – und es gehorchte. Was damals freilich genau passierte, lässt sich heute nur noch mit einiger Unsicherheit rekonstruieren. Jahrhundertelang glaubte man den Angaben der Turaner Hofchronisten, wonach der Kaiser im Jahre 920 mit einer großen Heeresmacht ins Nordreich marschiert sei, um die dortigen Fürsten zur Huldigung zu zwingen. Die moderne Geschichtswissenschaft ist da skeptischer. Man geht heute eher davon aus, dass Siegfried freiwillig zum Widhag zog, um die dort vom Landtag bereits beschlossene Huldigung förmlich entgegenzunehmen. In den offiziellen Chroniken musste das natürlich umgedeutet werden, da es dem Kaiser als Schwäche hätte ausgelegt werden können.
    In den Jahrzehnten danach verschlechterten sich die Beziehungen zum Norden zusehends. Immer wieder zogen Scharen von Plünderern ins Turaner Reich, erstmals unmittelbar nach dem Tod Kaiser Siegfrieds. Ingolsheim wurde erobert und verwüstet. Sogar bis Thorshaven drangen die Angreifer vor. Ob das immer ausschließlich Nordturanier waren, gehörte auch lange Zeit zu den ungeklärten Fragen der Historiker. Die Turaner Chroniken schrieben stets von "Nordmannen". Der Begriff umfasste aber auch Seekrieger aus dem hohen Norden, etwa aus Vestreyja, also Neuturanien. Vermutlich waren sie es, die Thorshaven im Herbst 948 mit 200 Schiffen angriffen. Sehr wahrscheinlich kam es auch zu Bündnissen jener Seekrieger mit den Fürsten des Heimgarder Nordreichs. Darauf deuten jedenfalls die Namen einiger Orte an der Kaphöhe und bei Wisborg hin. Sie könnten von Menschen aus dem hohen Norden gegründet worden sein, die sich dort ansiedelten. Ein Grund für die Kriegszüge des Nordens gegen das Kaiserreich war sicherlich, dass man sich im Norden von dem hochgerüsteten Staat bedroht fühlte. Wie ich bereits sagte, war das Alte Land um Turan zudem das fruchtbarste und reichste auf der ganzen Halbinsel. Es dürfte somit ohnehin die verarmten Krieger des Nordens angezogen haben. Ähnlich erging es den Küstenregionen im Westen, die bis 911 zum Königreich Drachenfels gehört hatten.
    Zur Abwehr der Feinde aus dem Norden rüstete der Kaiser in Turan den in Ingolsheim sitzenden Markgrafen aus dem Geschlecht der Ingoldinger massiv auf. Die "marca ingoldina", die Mark der Ingoldinger – auch Ingoldsmark genannt –, wurde so zum mächtigsten Fürstentum innerhalb des Kaiserreichs im zehnten Jahrhundert. Vereinzelt gingen von der Mark auch Strafaktionen gegen grenznahe Gebiete des Nordreichs aus. Zu dauerhaften Eroberungen kam es jedoch noch nicht. Dies änderte sich erst unter Kaiser Guntram. Das dürfte der vierte Träger des Titels gewesen sein. Er stammte ebenfalls aus Siegfrieds Targonier-Geschlecht. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern wollte Guntram die Gefahrenquellen im Norden ein für alle mal ausschalten. Mit ein Grund dafür war wohl seine Religiosität: Guntram erwartete für das Jahr 1000 die Wiederkunft Christi und wollte dem Messias offenbar eine rein christliche Halbinsel präsentieren.
    Um das zu erreichen, musste er das Nordreich zerschlagen. Also sammelte Guntram im Frühjahr 993 bei Ingolsheim rund 20.000 Mann und rückte an ihrer Spitze nach Norden vor. Von Westen griff der Herzog von Drachenfels mit weiteren 10.000 Mann an. Die Hamanen, die von den Kriegsvorbereitungen schon im Jahr zuvor durch Spione erfahren hatten, wählten den Gaukönig von Aarburg zu ihrem Heerführer. Dieser Goderich oder Gotricus – heute zumeist Göttrik genannt – ließ eine alte Landwehr östlich von Aarburg, den sogenannten Göttrikswall, neu herrichten, um den Feind aufzuhalten. Tatsächlich hielt der rund 40 Kilometer lange Erdwall, der von der Aare bis zum Altmassiv verlief, den Vormarsch der kaiserlichen Truppen lange genug auf, damit der Norden seine eigenen Krieger mobilisieren konnte.
    Kaiser Guntram war gezwungen, seine Männer an dem Wall vorbei durchs unwegsame Altmassiv zu führen. Ständige Angriffe des Feindes dezimierten die Truppen erheblich. Der Vormarsch des Drachenfelser Heeres war im Vergleich dazu weitgehend problemlos vonstatten gegangen. Von Westen kommend jagte es die Feinde vor sich her, schlug sie südlich von Heimgard und bei Dybni. Dann endlich vereinigten sich die beiden Heere kurz vor Aarburg und zwangen Göttrik und seinen Sohn Hadubrand zur Flucht. Vier Jahre wogte der Krieg daraufhin hin und her. Die Hamanen überließen den Kaiserlichen die Ebenen und Städte zogen sich in die Berge zurück, von wo aus sie Vorstöße in Guerilla-Taktik unternahmen. Der Kaiser rächte sich mit Massenhinrichtungen, etwa dem sogenannten Blutgericht von Wisborg.
    996 starb Göttrik und sein Sohn Hadubrand übernahm die Führung der verbliebenen Kriegerschaften des Nordens. Der weitere Widerstand erwies sich schnell als aussichtsloses Unterfangen. Zu stark war die Übermacht der Kaiserlichen. Also tat Hadubrand schweren Herzens das, was sich ohnehin kaum noch vermeiden ließ: Er gab auf. Am ersten Adventssonntag des Jahres 997 beugte er sein Haupt vor Kaiser Guntram, legte seine Waffen nieder und erwartete mit zehn Getreuen den Tod. Doch der Kaiser zeigte sich gnädig und schenkte seinem Feind das Leben. Am Weihnachtstag musste Hadubrand sich taufen lassen. Der Kaiser trat sogar als Taufpate aus. Dann erhielt Hadubrand das Nordreich – jetzt als Herzogtum Aarburg bezeichnet – von Guntram als Lehen zurück.
    Pünktlich zum Jahre 1000 war die turanische Halbinsel damit zumindest formell vollständig dem Christentum unterworfen. Christus kehrte zwar nicht wieder, aber der Kaiser ließ sich davon nicht beirren.

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Ich fasse noch einmal zusammen: Am Weihnachtstag 997 wurde Göttriks Sohn Hadubrand getauft – mit Kaiser Guntram II. als Paten. Er erhielt das militärisch besiegte und besetzte Nordreich als Lehen zurück und durfte sich fortan "Herzog von Aarburg" nennen. Seine Landsleute wurden in den Monaten und Jahren danach durch Massentaufen zwangschristianisiert. Das traf sogar bei einigen Geistlichen auf Kritik. Sie argumentierten, jeder Täufling müsse sich freiwillig der christlichen Gemeinschaft anschließen. "Glaube durch Zwang ist falscher Glaube", verkündete ein Priester. Ein anderer soll gesagt haben: "Christus ist Freiheit, nicht Unterwerfung." Es half jedoch nichts.
    Das Vorgehen der Kaiserlichen schürte gleich in mehrfacher Hinsicht den Widerstandswillen in der Bevölkerung. Zum einen natürlich durch den Taufzwang, die durch Waffengewalt erzwungene Zugehörigkeit zu einer für die Menschen des Nordens fremden Religion. Zum anderen war auch der nordische Adel – wenngleich ebenfalls getauft – den neuen Herren gegenüber äußerst kritisch. Schließlich wurde ihm Herzog Hadubrand einfach "vor die Nase gesetzt". Erinnern wir uns: Das Nordreich hatte keinen zentralen König wie das von Turan oder Drachenfels. Stattdessen herrschte jeder Gaufürst über seinen Gau, während im Fürstenrat das Los über den Vorsitz entschied. Lediglich die drei Gaufürsten von Heimgard, Aarburg und Wisborg standen durch ihr Ansehen und die Größe ihrer Gefolgschaften im Rang ein wenig über ihren "Kollegen". Bei Heimgard lag das auch daran, dass die Stadt als die älteste Turaniens galt, der Sage nach von einem Halbgott gegründet wurde, und dass in ihrem Gau der Widhag lag. Heimgard galt damit als – wie man es damals nannte – "Vorort" des Nordreichs. Heute würde man Hauptort oder Hauptstadt sagen.
    Jedenfalls sah sich gerade der Adel von Heimgard und Wisborg durch das neue "Herzogtum Aarburg", das ja das ganze Nordreich umfasste, massiv zurückgesetzt. Da war ein Aufstand nur eine Frage der Zeit. Ich glaube, im Jahr 1004 war es, als man zu den Waffen griff. Zahlreiche Geistliche und Besatzungssoldaten wurden getötet. Vor allem im Osten, um Wisborg, tobten heftige Kämpfe zwischen den Aufständischen einerseits und den Kaiserlichen sowie den Truppen Aarburgs andererseits. Es könnte sein, dass das Blutgericht von Wisborg eher in diesen Zusammenhang gehört. Würde gut passen und erschiene mir logischer. Ich müsste das noch einmal nachlesen.
    Als die Kaiserlichen – ich meine, es war im Jahr darauf – den Aufstand brutal niedergeschlagen hatten, war der Widerstand des Adels endgültig gebrochen. Die wenigen Überlebenden fügten sich in ihr Schicksal und unterwarfen sich dem Reich. Stattdessen kam es noch mehrere Jahrzehnte lang zu lokalen Aufständen der bäuerlichen Bevölkerung, laut den Reichschroniken in den Jahren 1018, 1029 und 1035. Der letzte heidnische Widerstand brach 1053 unter dem Schwert zusammen. Kaiser im fernen Turan war zu jener Zeit seit vier Jahren ein gewisser Goderich. Der Name dürfte Ihnen bekannt sein. So hieß auch Herzog Hadubrands Vater. Tatsächlich war Kaiser Goderich Hadubrands Enkel! Die Fürsten des Reichs hatten ihn 1049 zum Kaiser gewählt. Auf diese Weise blieben die Göttrikiden, die Nachkommen Göttriks, letztlich doch noch Sieger der "Nordischen Kriege".

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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