Beiträge von Hansgar von Ribbenwald

    Man legt mir schon seit Jahren Steine in den Weg. Dieses Land hieß noch Föderation Turanischer Republiken, da erkannte ich, dass es so nicht weitergehen kann. Korruption, Verrat und Eigennutz allerorten! Verantwortungslose Politiker, die nur ihren eigenen Nutzen im Sinn hatten, aber nicht die Interessen unseres Landes. Ich wollte aktiv werden - doch man warf mir Populismus vor, Extremismus, Verfassungsfeindlichkeit. Und das, obwohl ich doch dieses schöne Land und seine Verfassung gerade gegen die Unfähigen verteidigen wollte!
    Viele Jahre sind seitdem vergangen und ich bin müde geworden. Ich bin ja nicht mehr der Jüngste. Nun kommen Sie ins Spiel, Odinsson. Sie sind jung, engagiert und voller Tatkraft, ein Patriot im besten Sinne. Gemeinsam können wir viel erreichen, da bin ich sicher. Sie als das Gesicht unserer Bewegung, ich im Hintergrund!


    Ein älterer Herr um die 60 betritt die am Rande des Marktplatzes aufgebaute Rednerbühne: Es ist Hansgar von Ribbenwald. Der Spross eines alten turanischen Adelsgeschlechts hatte vor einigen Jahren die rechtsextreme "Volkszorn"-Bewegung gegründet und damit Stimmung gegen die demokratische Neuordnung des Landes gemacht. Auch heute wehen wieder zahlreiche Fahnen der Bewegung mit der emporgereckten Faust im Wind.


    Es war ruhig geworden um den "Volkszorn", seit die Verfassungskrise überstanden, die Föderation abgeschafft und die Turanische Republik begründet worden war. Doch der illustre Name der Bewegung hat noch immer Sprengkraft. Die turanischen Medien sind in großer Zahl auf dem Marktplatz vertreten. Die mehreren zehntausend Bürger, die die Organisatoren erwartet hatten, sind nicht erschienen. Stattdessen wird später von rund 10.000 Menschen die Rede sein – und man wird das eisige Wetter und die kurzfristige Bekanntgabe der Demonstration für die geringe Zahl verantwortlich machen. Die Polizei zählt indes nicht einmal 3000 Bürger auf dem Marktplatz.


    Von Ribbenwald richtet seine Stimme an die Anwesenden: "Liebe Landsleute, Turanier!", beginnt er zu sprechen. Es wird eine kämpferische Rede. Immer wieder spricht er von "barnstorvischer Aggression" und "der Feigheit der Regierung, die nichts gegen die Feinde des Vaterlands" unternehme. Immer wieder reckt von Ribbenwald die rechte Faust in die Höhe und skandiert "Turanien den Turaniern!" und "Nieder mit Barnstorvia!"


    Nachdem er sich etwa eine dreiviertel Stunde lang ereifert hat, hält von Ribbenwald kurz inne, lässt seinen Blick noch einmal über den Marktplatz schweifen und reißt dann die Faust ein letztes Mal empor. "Turanier, zeigt Barnstorvia die Faust! Zeigt dem Regime, was ihm blüht, wenn es seine gierigen Hände nach unserer Heimat ausstreckt! Unsere Faust gegen Barnstorvia!" Dann, unter dem teils verhaltenen, teils aber auch frenetischen Applaus der Menschen auf dem Platz, tritt von Ribbenwald mit hochrotem Gesicht von der Rednerbühne zurück, wischt sich den Schweiß ab und begibt sich zu seinem Nobelwagen der Marke Heimgard. Ein kalter Winterwind lässt die Fahnen der Bewegung erzittern. Es beginnt zu schneien.


    Auf dem Marktplatz werden alle Vorbereitungen für die große Demonstration getroffen, die für den Nachmittag angekündigt ist. "Unsere Faust gegen Barnstorvia" nennen die Organisatoren um den rechtsgerichteten Adeligen Hansgar von Ribbenwald ihre Kundgebung, zu der mehrere zehntausend besorgte Bürger erwartet werden. Fleißige Helfer verteilen Flugzettel mit nationalistischen Parolen wie "Turanien den Turaniern!" oder "Nieder mit Barnstorvia!". Die Medien sind informiert.

    Die Hochwassersituation entspannt sich nur langsam. Zahlreiche Stadtviertel von Westerbad stehen noch immer unter Wasser. Der Unmut der Menschen wächst. Man verlangt nach schneller Hilfe der Behörden. Doch die Regierung bleibt untätig. Noch immer ist die Kompetenzzuteilung in der neuen Republik nicht geklärt. Dies ruft radikale Kräfte auf den Plan, so auch die "Volkszorn"-Bewegung. Unterstützt von einer medialen Großkampagne lässt der rechte Publizist Hansgar von Ribbenwald erste Hilfspakete an die Betroffenen verteilen. Für den weiteren Wiederaufbau verspricht er zinslose Darlehen. Woher die Gelder kommen sollen, bleibt indes unklar.

    Von Ribbenwald hört hinter sich eine erregte Männerstimme brüllen. Er sieht sich um und erblickt hinter den Journalisten einen älteren Herrn, der wütend gestikuliert. Ribbenwald denkt kurz nach, beugt sich dann zu seinem kahlköpfigen Leibwächter hinüber und raunt ihm etwas zu, ohne den Randalierer aus den Augen zu lassen.

    In Begleitung seiner engsten Mitarbeiter begibt sich Hansgar von Ribbenwald, der Hoffnungsträger der politischen Rechten zu einem im Jugendstil erbauten Haus am Rande der Turaner Innenstadt. Ein dubioser Rechtsanwalt hat es vor einigen Wochen käuflich erworben. Nun stellt sich heraus, dass er nur der Strohmann für Ribbenwalds Volkszorn-Bewegung war, die das um die Jahrhundertwende errichtete repräsentative Gebäude als Parteizentrale nutzen möchte.


    Als von Ribbenwald aus seiner schwarzen Heimgard-Limousine aussteigt und auf das Gebäude zugeht, wird er umringt von Journalisten. Rechtsgerichtete Blätter haben ihre Reporter genauso geschickt wie die großen turanischen Tageszeitungen und Rundfunkanstalten. Auch ausländische Pressevertreter sind anwesend. Mürrisch werden die Reporter von einem halben Dutzend kahlköpfiger Leibwächter gemustert, die den adeligen Politiker und seine Vertrauten begleiten.


    "Das letzte Stündlein der Januar-Verbrecher hat geschlagen!", ruft von Ribbenwald den wartenden Journalisten zu, als er die Treppe zu dem Gebäude erreicht hat, und reckt die rechte Faust himmelwärts. Januar-Verbrecher - so nennt er die turanischen Politiker, die das Land im Januar in die schwerste Krise seiner Geschichte geführt haben.

    Ein große Menschenmenge hat sich auf dem Marktplatz der Föderationshauptstadt Turan versammelt. Tausende dürften es sein. Einige Tage zuvor war bei der Stadtverwaltung für den heutigen Sonntag nachmittag eine Versammlung angemeldet worden, eine politische Kundgebung. Und tatsächlich waren viele Menschen der über das Internet verbreiteten Einladung in die Hauptstadt gefolgt. Zahlreiche Beamte der Polizei patrouillieren in den angrenzenden Straßen. Gegendemonstrationen sind angekündigt. Der Himmel indes ist winterlich wolkenverhangen, doch nur wenige Spuren künden noch von den teils heftigen Schneefällen der letzten Tage.



    Ein elegant gekleideter Herr Ende 50 betritt die Bühne, die am Rande des Marktplatzes aufgebaut ist. Noch vor wenigen Tagen hätten die meisten Teilnehmer der Kundgebung nicht einmal gewusst, dass er existiert. Es ist Hansgar von Ribbenwald, Publizist und Spross eines alten nordturanischen Adelsgeschlechts. Entsprechend nordisch-kühl ist seine Erscheinung.


    "Meine lieben Landsleute, turanische Frauen und Männer! Kameraden!", hebt von Ribbenwald zu sprechen an, doch sofort unterbricht ihn tosender Applaus.


    "Unser Vaterland steht am Abgrund! Eine Clique selbstsüchtiger und charakterloser Politiker hat Turaniens stolzer Nation das Rückgrat gebrochen."


    Dann nennt er die Politiker beim Namen: Wendel und Abeken, die sich aus dem Staub gemacht haben, Saxburger, der zwar frisst, aber wenig tut, Twist, der ewige Nörgler, Marius, der selbstherrliche Richter, Ho, dem seine Frisur wichtiger ist als das Vaterland, der Kapitalist Freinberger, der Turanien an Ascaaron ausliefern möchte, und Thorwald, von dem man nichts hört und nichts sieht. "Sollen solche Leute die Geschicke unserer Heimat lenken?" "Nein!", brüllt die Menge.


    Der Rat der Volksbeauftragten sei eine Bande von Feiglingen und Verrätern, ruft von Ribbenwald den Menschen zu. Und schließlich holt er aus zur Generalabrechnung mit einer Gesellschaft, die sich willenlos dem Zeitgeist unterworfen habe.


    "Das Geschmeiß muss raus aus Turanien! Perverse, Homosexuelle, Kriminelle, Kommunisten, Volksverräter, Pfaffen, die ihre eigene Botschaft nicht achten, das elende Kapitalistenpack - die müssen raus!"


    Und unter dem Jubel der Menge fügt Ribbenwald hinzu: "Von nun an werden die Mächtigen den Zorn des Volkes spüren, unseren Volkszorn! Turanien, erwache!"


    Von Ribbenwald reckt seine rechte, zur Faust geballte Hand gen Himmel. Nicht enden wollender Applaus brandet auf. "Ribbenwald, Ribbenwald, Ribbenwald!", ruft die Menge frenetisch. Der Redner lässt sich feiern.