Bürgergasse 12, Leonsburg

  • "Gerne. Wirklich ganz was Feines."

    Nippt am Met.


    "Da wir schon beim Met sind: Was ist eigentlich über die vorchristliche Religion der Gothonen? Ich hätte nämlich über unsere Gauthones eine kleine Geschichte beizutragen."

  • Da muss ich leider passen, Frauja Choniatés. Über die vorchristliche Religionen der Gotonen und der Kimmerier ist leider wenig bekannt. Unsere geschriebene Geschichte beginnt praktisch erst mit der Christianisierung. Rekonstruieren lässt sich allerdings, dass hohe Berge bei der Götterverehrung eine wichtige Rolle gespielt haben müssen. Das wirkt bis in die Gegenwart nach: Mein Land ist ja nach dem Sinai benannt, dem höchsten Berg des Osning-Gebirges, an dessen Fuß das weltberühmte Katarinenkloster liegt. Man geht davon aus, dass sich dort in vorchristlicher Zeit bereits ein Heiligtum befand, das quasi verchristlicht wurde.
    Was können Sie mir denn über die Religion Ihrer Gauthones berichten?

  • "Zunächst eine Frage: Frauja bedeutet "Herr"?

    Dann folgt eine Kunstpause.


    "Die Gauthonen bei uns verehrten - und verehren noch - drei Muttergottheiten, die Walliskari oder auch Wallküren. Zum Kult gehört es, sich den Göttinnen rückwärtsgehend zu nähern, man sieht sie also nie an.
    An hohen Feiertagen werden diese Göttinnen, die Helme mit Kuhhörnern drauf tragen, angebetet, indem man, natürlich rückwärtsschreitend, Kartoffeln in die Menge wirft und dazu "Hojotojoooo!" ruft. Einer unserer Kaiser hing diesem, heute noch lebenden, Kult an. Das ist ihm allerdings nicht gut bekommen." ;)

  • Frauja bedeutet "Herr" – völlig richtig. Das ist in der alten gotonischen Sprache die gängige Anrede für Männer. Fraujo ist die Anrede für Frauen.
    Achja...


    Seufzt hörbar.


    ... die gotonische Sprache... nicht viel ist von ihr geblieben!

  • "Hmmm...also...in den Dörfern rund um Carcasónna und auch in der Stadt selbst wird die gauthonische Sprache immer noch gesprochen."


    Öffnet eine mitgebrachte Aktentasche und entnimmt einige Blätter.


    "Schaut einmal. Könnte dies der gothonischen Sprache entsprechen? Oder mit ihr verwandt sein?"


    Eiris sâzun idisi, sâzun hêra duoder. (es mag sein, dass "hera duoder" die Verballhornung von "hera muoder", also "Hehre Mutter" ist)
    suma haft heftidun,
    suma heri lêzidun,
    suma clûbodun umbi cuniowidi:
    insprinc haftbandun, infar wîgandun.


    Mögliche Übersetzung ins Turanische:
    Einst saßen Idise,
    setzten sich hierher und dorthin.
    Einige hefteten Fesseln,
    einige reizten die Heere auf.
    Einige klaubten herum an den Volkesfesseln.
    Entspringe den Haftbanden, entkomme den Feinden.

  • Phôl ende Wuodan fuorun zi holza.
    dû wart demo balderes folon sîn fuoz birenkit.
    thû biguol en Sinthgunt, Sunna era swister;
    thû biguol en Frîja, Folla era swister;
    thû biguol en Wuodan, sô hê wola conda:
    sôse bênrenki, sôse bluotrenki,
    sôse lidirenki:
    bên zi bêna, bluot zi bluoda,
    lid zi geliden, sôse gelîmida sîn.


    Mögliche Übersetzung in Turanische:
    Phol und Wodan begaben sich in den Wald ("Phol" mag einen Gott benennen oder einfach nur "Fohlen" bedeuten)
    Da wurde dem Fohlen des Herrn/Balders sein Fuß verrenkt
    Da besprach ihn Sinthgunt, die Schwester der Sunna
    Da besprach ihn Frija, die Schwester der Volla.
    Da besprach ihn Wodan, wie er es wohl konnte.
    So Beinrenkung, so Blutrenkung,so Gliedrenkung:
    Bein zu Bein,
    Blut zu Blut,Glied zu Glied, wie wenn sie geleimt wären

  • atta unsar thu in himinam weihnai namo thein
    Vater unser du in Himmel geweiht Name dein
    qimai viudinassus veins wairvai wilja veins
    qimai thiudinassus þeins wairþai wilja theins

    komme Reich dein werde Wille dein
    swe ïn himina jah ana airvai hlaif unsarana
    swe in himina jah ana airþai hlaif unsarana

    so in Himmel und auf Erde Laib unseren
    vana sineinan gif uns himma daga jah aflet uns
    thana sinteinan gif uns himma daga jah aflet uns

    diesen täglichen gib uns diesen Tag und vergib uns
    vatei skulans sijaima swaswe jah weis afletam
    thatei skulans sijaima swaswe jah weis afletam

    die schuldig sind so wie auch wir vergeben
    vai- skulam unsaraim jah ni briggais uns ïn
    thaim skulam unsaraim jah ni briggais uns in

    denen schuldig uns und nicht bringe uns in
    fraistubnjai ak lausai uns of vamma ubilin
    fraistubnjai ak lausai uns of thamma ubilin

    Versuchung sondern erlöse uns von diesem Übel
    unte veina ïst viudangardi jah
    unte theina ist thiudangardi jah

    denn dein ist Reich und
    mahts jah wulvus ïn aiwins amen
    mahts jah wulþus in aiwins amen

    Macht und Herrlichkeit in Ewigkeit Amen


    Das Vaterunser in gauthonischer Sprache. Für die Übersetzung ins Turanische wurde der gauthonische Satzbau beibehalten. Das "th" wird wie in den anglischen Sprachen, also wie in "thought", "this" und/oder "that" ausgesprochen.

  • Das Vaterunser gleicht der gotonischen Sprache. Die beiden anderen Sprachbeispiele aber scheinen mir fremd. Vielleicht sind es jüngere Formen?

  • "Mir sind alle drei Beispiele recht fremd, daher fehlen mir Vergleichsmöglichkeiten. Aber möglicherweise stimmt es ja und die beiden ersten Beispiele sind jüngeren Datums. Ich glaube, dass könnte ich vor Ort abklären, in Septimanien."

  • Er denkt kurz nach...


    "Wisst Ihr was? Wenn Ihr mögt, so seit Ihr herzlichst eingeladen, Euch einmal selbst umzusehen. In Septimanien, wo die Gauthonen leben, aber auch nach Justinianpolis , wo es künstlerische Zeugnisse der Gauthonen während ihrer ersten Generationen in Ladinien gibt."

  • Diese Einladung nehme ich gerne an!
    Wie mir scheint, können wir jedenfalls von einer Verwandtschaft Ihrer Gauthonen und unserer Gotonen ausgehen. Ich finde das höchst bemerkenswert. Wir reden hier von Verwandten am anderen Ende des Erdballs. Mich würde interessieren, wie ein Volk dermaßen weit – über Meere und Ozeane hinweg – wandern konnte. Gibt es irgendwelche Überlieferungen in Ihrem Land, die Licht in diese Angelegenheit bringen könnten?

  • "Na ja, soweit ich weis erklären die Gauthonen, sie seien immer weiter nach Süden aufgebrochen. Als sie in der Höhe von Äquatorial-Nerica anlangten erzählten ihen Händler von einem Land weiter im Süden und weiter im Westen. Also segelten sie in Richtung Westen bis sie Salvagiti fanden und dann immer weiter in den Süden, bis sie uns fanden. Und so wie ich die Geschichte hörte waren die Versuche der Gauthonen einen eigenen Staat auf Reichsgebiet zu gründen auch in der Arroganz der Ladiner begründet. Als das Reich sie dann besiegte, nach einem Krieg, der ebenso überflüssig wie tragisch war, tat das Imperium gut daran diese Menschen nicht zu versklaven, sondern ihnen eine Heimat, eben Septimanien, zu bieten. Und das Experiment ist gelungen."

  • "Wobei...wenn die Sagen stimmen, dann war diese Reise kein Zuckerschlecken. Es soll damals zu stark wechselnden Wetterverhältnissen gekommen sein. Die gauthonen siedelten wohl 10-20 Jahre in der selben Region, bevor sie entweder von anderen Stämen oder eben den Wetterbedingungen vertrieben wurden. Wenn wir die Sagas recht interpretieren, so dauerte die Wanderung insgesamt 82 Jahre. ich vermute weltweite Änderungen im damaligen Klima. Und als das Klima sich wieder einpendelte, da lebten die Gauthonen schon viel zu weit im Süden, um noch umkehren zu können. Es gab für sie nur zwei Möglichkeiten: Ins Reich der Ladiner aufgenommen zu werden oder - und daran waren die damaligen Reichsbehörden selbst schuld! - sie gündeten einen eigenen Staat. Es ist nämlich verbürgt, dass die Behörden sich nicht an Absprachen hielten: So wurden zum Beispiel Lebensmittellieferungen unterschlagen. Also wehrten sich die Gauthonen."

  • 82 Jahre? Könnte das eine symbolische Dauer sein? Ich bin ja kein Experte für Völkerwanderungen, aber das erscheint mir recht kurz, wenn man bedenkt, wohin es die Gauthonen verschlagen hat.


    Geht plötzlich kommentarlos zu seinem Bücherschrank, nimmt ein Buch heraus und blättert es konzentriert suchend durch, während er zurück zu Choniatés geht.


    Aaah... da haben wir es ja...
    Die gute alte "Gotonica", die Ursage unseres Volkes. Sie berichtet von einer Hungersnot in grauer Vorzeit, in deren Verlauf sich die Gotonen zu einem drastischen Schritt entschlossen: Ein Drittel des Volkes musste seine Heimat verlassen. Diejenigen, die das Los traf, zogen nach Süden bis zum Ozean. Dort verliert sich ihre Spur.
    Sehen Sie...?


    Hält ihm das Buch vor die Nase.

  • Liest und ist erstaunt.


    "Ob das die Erklärung ist? Und die 82 Jahre klingen tatsächlich eher symbolisch. Das fällt mir erst jetzt auf. Also sind sie wahrscheinlich schon früher losgezogen. Das wäre eine lange leidensgeschichte, dass muss man wohl sagen."

  • Das halte ich für sehr gut möglich. Die "Gotonica" enthält natürlich keine Zeitangaben, aber ich schätze, wir reden hier mindestens von den Jahren um Christi Geburt, wenn nicht früher. Auf jeden Fall deutlich vor dem ausgehenden vierten Jahrhundert, als Sinai christlich wurde.

  • "400 Jahre! Mindestens! Da verstehe ich, dass sie, einmal bei uns angekommen, nicht mehr weg wollten. Und ich verstehe auch das Motto der drei gauthonischen Fürsten: "Land oder Tod!". Am Ende bekamen sie das Land. Sie sind gute Bauern, aus ihrer Provinz kommen mit die besten Duft- Küchen- und Heilkräuter. Mit dem Verkauf von Parfüms und Kosmetika sind sie wohlhabend geworden. Übrigens befindet sich ihr Land nicht im Besitz weniger Großgrundbesitzer, sondern es wird, ganz traditionell gauthonisch, genossenschaftlich bewirtschaftet."

  • Großgrundbesitzer gibt es hier ebenfalls nicht. Darüber hinaus dürfte es zwischen den heutigen Gauthonen und uns Sinaiten nur noch wenige Gemeinsamkeiten geben. Dafür ist die Zeit seit der Trennung zu groß. Unser Mittelalter mit seinen Kriegen zwischen Sinai und Schwion und dem turanischen Einfluss hat wohl jede Gemeinsamkeit zerstört.

  • "Gut, ein "Mittelalter" hat es bei uns eigentlich nicht gegeben. Den Göttern sei Dank lebten wir von der Spätantike an etwa 600 Jahre in uninteressanten Zeiten. Darauf folgten Jahrhunderte der Reife. Interessant waren dann wieder die letzten 152 Jahre. Zur Erklärunhg: Wenn man bei uns jemanden nicht leiden kann, dann wünscht man ihm "Mögest Du in interessanten Zeiten leben!"