Beiträge von Dr. Everhard Gscheidt

    Dann kommen Sie mal mit.


    Der Weg geht querfeldein und durch das Unterholz. Dann, nach einer knappen halben Stunde, steht man vor einem kleinen Teich, an dessen gegenüberliegendem Ufer sich ein imposanter Hügel erhebt.


    Da wären wir: Heimes Grab.



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    Zumindest waren solche Familienunternehmen ganz wesentlich daran beteiligt, den kolonialen Gedanken zu verbreiten. Und es gab ja durchaus eine ganze Reihe davon. Die Thorshavener waren ja nur ein Teil der Konkurrenz. In der alten Hansestadt Wisborg waren die Oosterkamp und die Heyerdal führend, in Freyburg beispielsweise die Schilling und die Drolshagen, in Strelasund die Wagenknecht – um nur einige weitere zu nennen.

    Ich möchte an dieser Stelle einen kleinen Exkurs machen – und damit möglichen Fragen zuvorkommen. Sie haben sich vielleicht gewundert, weshalb die Tucher allein die Macht hatten, solch eine Expedition auszurüsten und durchzuführen. In einer der vorigen Kursabschnitte hatte ich Ihnen doch von der Turanischen Hanse erzählt, die den mittelalterlichen Seehandel beherrschte. Was aber ist aus der Hanse geworden? Wäre nicht sie viel besser in der Lage gewesen, den neuen Kolonialismus anzupacken? Die klare Antwort ist: Nein. Die Hanse gab es meines Wissens damals zwar formell noch. Eine Rolle im Handel spielte sie aber nicht mehr. Erinnern wir uns: Die Hanse entstand im 12. Jahrhundert als Zusammenschluss von städtischen Kaufmannsgilden. Das war damals ein probates Mittel, um gemeinsam international tätig zu sein. Eine Zeitlang war die Hanse ja durchaus ein Erfolgsmodell. Aber in der frühen Neuzeit, im 15. und insbesondere im 16. Jahrhundert, entwickelte sich aus dem mittelalterlichen Gilden- und Zünftewesen die frühkapitalistische Gesellschaft. Statt Ständeorganisationen wurden die reichen Familienhäuser immer wichtiger.
    Eines dieser Häuser waren die Tucher. Im ausgehenden 17. Jahrhundert waren sie reicher als alle ihre Konkurrenten in Thorshaven zusammen, reicher sogar als der Kaiser. Das wiederum gefiel ihren Gegner überhaupt nicht – verständlicherweise. Wo immer möglich, intrigierten sie gegen die Tucher. An vorderster Front waren damals die Handelshäuser Hahnenschrei, Vogeltor, Königsberger und Neuenhof. Sie waren zwar auch untereinander zerstritten, aber geeint im Kampf gegen die Tucher. Und der war keineswegs erfolglos, wie sich bald zeigte. 1704 starb nämlich Kaiser Sigismund II. und Friedrich IV. folgte ihm auf den Thron. Der stand den Tuchern eher reserviert gegenüber. Als Folge kann die Gründung der Kaiserlich-Oceanischen Compagnie (K.O.C.) angesehen werden. Mit dieser halbstaatlichen Handelsgesellschaft wollte das Reich nun selbst im Überseehandel mitmischen – und setzte dabei auch auf die Tucher-Konkurrenten. 1708 begründete ein Vertrag der K.O.C. die spätere Herrschaft Turaniens über San Bernardo.

    Der Gubernator war faktisch Chef seines eigenen Staates. Er war zwar eine Art kaiserlicher Beamter. Aber tatsächlich war Turanien weit weg. Auch die Tucher-Zentrale war ja in Thorshaven. So konnte der Gubernator grundsätzlich tun, was er wollte.

    Geistergeschichten sind mir von hier leider nicht bekannt. Hier gibt es wie gesagt "nur" die Erzählungen vom Riesen Heime und vielleicht noch die eine oder andere Sage von Hexen. Aus anderen Gegenden sind dagegen zahlreiche Geistergeschichten überliefert. Ich biete ja demnächst ein weiteres VHS-Seminar an: Die turanische Sagenwelt. Haben Sie vielleicht Lust, daran teilzunehmen?

    War in Gedanken versunken und hatte die Zeit vergessen. Nun besinnt er sich wieder auf Odinsson Frage.


    Nicht dass ich wüsste. Soweit mir bekannt ist, war dies nur ein Kultplatz. Es gibt allerdings an anderer Stelle im Widhag einen kleinen Hügel, der im Volksmund "Heimes Grab" genannt wird. Heime gilt in den Sagen der Region als hilfreicher Riese, der in den Bergen der Kaphöhe gelebt haben soll. Die Wissenschaft interpretiert ihn als dunkle Erinnerung an den mythischen Ahnherrn des Nordreichs, Hama. Gut möglich, dass es sich bei "Heimes Grab" also um einen bronzezeitlichen Grabhügel handelt. Bewiesen ist das allerdings nicht. Bislang wurde der Hügel nicht untersucht.

    Nun, niedergewalzt ist sicherlich das falsche Wort. Sagen wir so: Die Farnen waren damals heillos zerstritten und konnten keine gemeinsame Gegenwehr organisieren, die der turanischen Übermacht gewachsen gewesen wäre. Bis 1692 jedenfalls hatten die Tucher-Truppen unter dem Kommando von Hohermuth das Land besetzt. Der farnische Großkönigs Amir XI. war in mehreren Schlachten besiegt und musste die Oberhoheit der Turanier anerkennen.
    In der Folge wurde Farnestan faktisch zu einer Privatkolonie der Tucher. Zwar galt es als "Kronkolonie" des Kaisers, zum Reichsverband gehörte es aber nie. Und auch die Herrschaft des Kaisers blieb eine Formalie. Tatsächlich lag die Macht in der Hand des "Gubernators", der zwar im kaiserlichen Auftrag tätig war, aber direkt den Tuchern unterstand und ihre Befehle befolgte.

    Natürlich flossen die Einnahmen primär in die Taschen der Tucher, die dadurch noch reicher und mächtiger wurden. Allerdings hielt sich der Gewinn – verglichen mit dem, was man erwartet hatte – in Grenzen. Ganz so reich war Farnestan eben doch nicht. Es bestand und besteht ja zu großen Teilen aus Wüsten und Gebirgen. Die sagenumwobenen Goldstädte fand man nicht.
    Stattdessen stieß bereits die erste Tucher-Expedition, die 1681 mit drei Schiffen von Thorshaven aus lossegelte, auf teils massive Gegenwehr der Einheimischen. Ein Erkundungstrupp, den Expeditionsleiter Johannes Hohermuth in die Gebirge im Süden schickte, kehrte nach Wochen stark dezimiert, aber immerhin im Besitz zahlreicher Goldfunde zurück. Da unter den übrigen Männern eine rätselhafte Krankheit ausbrach, beendete Hohermuth seine Expedition und segelte nach Turanien zurück.
    Trotz der Verluste brach auf die Berichte Hohermuths hin ein wahrer Goldrausch im Kaiserreich aus. Zahllose Abenteurer, Adlige, Bürger und Bauern, gescheiterte Existenzen und solche, die auf der Halbinsel keine Zukunft mehr sahen, traten in den Dienst der Tucher, die ihre zweite Expedition nun offiziell mit kaiserlichem Auftrag antraten. Hohermuth, der erneut das Kommando übernahm, wurde vom Kaiser zum "Generalkapitän des ozeanischen Meeres und Gubernator aller Länder des Südens" ernannt. Wohlgemerkt: Bevor auch nur ein Quadratmeter dieser Gebiete von den Turaniern besetzt worden war. Diese zweite Expedition stach 1687 in See. Die 29 Schiffe brachten mehrere Tausend Bewaffnete übers Meer.

    Die meisten werden des Goldes wegen dort gewesen sein. Einige wegen des Abenteuers, ein paar wenige vielleicht auch, weil sie die Welt sehen wollten. Das Motiv der großen Mehrheit dürfte aber tatsächlich der zu erwartende Reichtum gewesen sein. Am Beginn des "Goldrauschs" steht der turanische Weltreisende Ferdinand von Stoltenberg. Er verließ das Land als junger Mann in den ersten Tagen des Achtjährigen Krieges und kehrte erst nach mehr als 20 Jahren zurück. Er berichtete den erstaunten Turaniern von sagenhaften Reichtümern auf dem Südostkontinent. Eines der Goldländer nannte er "Farnien".
    Auf Stoltenbergs Geschichten hin wurde unter maßgeblicher Beteiligung der Thorshavener Patrizierfamilie Tucher eine Expedition ausgerüstet, die das Gold des Südens finden sollte. Sie müssen bedenken: Turanien litt damals noch immer unter den Folgen des Krieges. Viele entwurzelten Existenzen suchten ihr Heil im Ausland. In diesem Milieu fanden die Tucher ihre Expeditionsteilnehmer. Die Tucher - übrigens mit kurzem U gesprochen - waren ursprünglich Tuchhändler aus dem Thorgau, die im 13. Jahrhundert nach Thorshaven einwanderten und dort zu Reichtum und Einfluss kamen. Als ihr Stammvater gilt der um 1290 dokumentarisch belegte "Arbogast der alt tuchkremer bi sanct Marten", also Arbogast der Alte, Tuchhändler bei der Thorshavener St.-Martinskirche.

    Genau das meinte ich jetzt nicht. :D
    Sie haben natürlich völlig recht: Die Insel Neuturanien war auch einmal eine Art Kolonie des Kaiserreichs. Obwohl ihre Eroberung letztlich auch dem Handel geschuldet war, gehörte sie doch noch zur ersten Phase des Kolonialismus im Mittelalter. Vestreyja wurde ja danach durchaus von Turaniern besiedelt. Der Anteil der ethnischen Turanier wird ja gemeinhin mit etwa einem Drittel angegeben.
    Mit meiner Frage zielte ich tatsächlich auf San Bernardo und Farnestan ab. Beide Gebiete liegen weitab von Turanien in ganz anderen Klimazonen. Nur wenige ethnische Turanier nahmen die Mühsal auf sich, dorthin zu ziehen. Im Fall von San Bernardo waren es vor allem Verwaltungsbeamte und Händler, bei Farnestan eher Abenteurer und Söldner. So unterschiedlich die beteiligten Menschen, so unterschiedlich aber auch die Beweggründe: Farnestan wurde des Goldes wegen von den Turaniern erobert, San Bernardo kam durch Verträge an das Kaiserreich und sollte als Basis für den turanischen Handel mit den Südkontinenten dienen.
    Gibt es bis hierher Fragen?

    Damit hätten wir das Kapitel über den Achtjährigen Krieg abgeschlossen. Wenn keine Fragen mehr bestehen, würde ich jetzt gern zum "neuen Kolonialismus" übergehen. Wir reden hier von "neu", weil sich dieser Kolonialismus des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts von allen Siedlungsbewegungen und Auswanderungswellen des Mittelalters und der frühen Neuzeit unterscheidet: Er zielte nach Übersee, war wesentlich auf die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen im erwachenden Welthandel ausgerichtet und beinhaltete nur ganz am Rande eine tatsächliche Besiedlung der neuen Gebiete durch Turanier.


    Welche Kolonialgebiete fallen Ihnen spontan ein?

    Bei Landeshauptmann Saxburger geht ein Brief der VHS Turan ein. Man wirbt darin um Teilnahme an dem geplanten Kurs Die turanische Sagenwelt. Da in der Veranstaltung auch Überlieferungen und Mythen aus Schwion gesammelt werden sollen, wäre eine Beteiligung von Mitbürgern aus der Republik höchst sinnvoll, heißt es in dem Schreiben. Der Landeshauptmann wird daher herzlich gebeten, das Anliegen der VHS zu unterstützen.

    Beim Landesratsvorsitzenden Freinberger geht ein Brief der VHS Turan ein. Man wirbt darin um Teilnahme an dem geplanten Kurs Die turanische Sagenwelt. Da darin auch Überlieferungen und Mythen aus Ascaaron gesammelt werden sollen, wäre eine Beteiligung von Mitbürgern aus der Confederaziun höchst sinnvoll, heißt es in dem Schreiben. Der Landesratsvorsitzende wird daher herzlich gebeten, das Anliegen der VHS zu unterstützen.

    Ich sehe, mein lieber Herr Odinsson, Ihnen kann man so leicht nichts vormachen. Sehr gut!
    Die Grenzbefestigung musste tatsächlich überwacht werden. Zwar war sie so angelegt, dass sie ein feindliches Heer mit seinen Kanonen und Pferden und seinem Tross nicht passieren konnte. Aber ohne Überwachung hätten feindliche Pioniere natürlich leicht Breschen hineinschlagen können. Ganz abgesehen davon, dass kleinere Spähtrupps durchaus in der Lage waren, unter Umständen über die Hindernisse hinwegzuklettern. Meines Wissens ist das auch passiert.
    Man hat deshalb Wachtürme errichtet. Einen solchen sehen Sie in dem Modell, das ich mitgebracht habe. Die Türme standen zudem erhöht und an strategisch günstigen Punkten, sodass die Grenzwächter mittels Fernrohren die komplette Grenzlinie überblicken konnten. Sahen sie einen Feind, gaben Sie die Meldung an die Truppen weiter, die in einer Art von Kaserne, den sogenannten Schanzen, stationiert waren. Diese zogen daraufhin aus, um den Feind zurückzuschlagen. Sie sehen also, lieber Herr Odinsson, dauerhaft bemannt war die eigentliche Befestigung in der Tat nicht.
    In diesem Zusammenhang muss allerdings auch erwähnt werden, dass die Grenzwächter auf den Türmen und die in den Schanzen kasernierten Soldtruppen keineswegs die einzigen bewaffneten Kräfte vor Ort waren. Nein, im Gegenteil: Der Kaiser hatte nach dem Friedensschluss von Entzenheim alles Land südlich der Entz, also die gesamte beim Reich verbliebene Südermark, zur Militärgrenze erklärt. Das heißt, das Gebiet unterstand nicht den zivilen Behörden der großturanischen Reichslande, sondern der sogenannten "kaiserlichen Militair-Commission". Alle Bewohner unterstanden der Militärgerichtsbarkeit. Die meisten von ihnen zahlten zwar keine Steuern an den Kaiser, bildeten dafür aber als Wehrbauern eine ständige Miliz zur Unterstützung der regulären Truppen.

    Kaiser Sigismund II. war es auch, der den Bau der sogenannten Eschenweiler Linie anordnete. Das war ein Befestigungssystem am 48. Breitengrad, vom Meer im Westen bis zum Altmassiv im Osten. Die Schanzen, Gräben, Wälle, Türme und Hecken erstreckten sich über eine Länge von mehreren hundert Kilometern! Das Gebiet südlich der Entz, also der klägliche Rest der Südermark, der Turanien geblieben war, wurde so weiteren barnstorvischen Zugriffen fast vollständig entzogen. Heute ist von dem Befestigungssystem nur noch wenig erhalten. Mancherorts wurde es allerdings zu touristischen Zwecken rekonstruiert. Damit Sie sich einen Eindruck verschaffen können, habe ich Ihnen ein Modell der Eschenweiler Linie mitgebracht.