Das Turanische Kaiserreich

  • Der Kaiser dürfte ein ähnliches Interesse wie die Hanse gehabt haben: Sicherung der Handelswege und Erweiterung des Einflussgebiets. Der Orden hatte wohl vor allem die Christianierung der Insel im Sinn. Es gab zwar schon eine große christliche Gemeinschaft auf Vestreyja, der alte Glauben spielte aber noch eine wichtige Rolle. Abgesehen von der Religion hatte der Orden aber wohl auch wirtschaftliche Interessen: Er konnte über die Partnerschaft mit der Hanse selbst in den Überseehandel einsteigen.

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Ja und nein. Einerseits war die Hanse ja ein Zusammenschluss von reichsangehörigen Städten bzw. Kaufleuten - und damit dem Kaiser untertan. Andererseits war sie eine eigenständige Körperschaft, die quasi als gleichberechtigter Vertragspartner des Kaisers auftrat. Beantwortet das Ihre Frage?

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  • Der Punkt ist: Der Kaiser war kein absolutes Staatsoberhaupt. Er war vielmehr in vielerlei Hinsicht auf den Reichsrat und die Fürstentümer angewiesen. Ohne deren Mitwirkung ging fast nichts. Eine zumindest annähernd absolute Herrschaft konnte der Kaiser nur innerhalb jener Gebiete ausüben, die ihm lehensrechtlich gehörten. Im Fall des Kaisergeschlechts der Ebersteiner waren das beispielsweise die sogenannten Ebersteiner Erblande.

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  • Nun werden Sie vielleicht fragen, wie es auf Vestreyja weiterging? 1404 wurde die Insel - erstmals unter dem Namen "Nova Turania" - formell in den Reichsverbund aufgenommen und einem "Praefectus" unterstellt, der in Bergen seinen Sitz hatte. Für die Menschen änderte sich dadurch zunächst nicht viel. Die gesamtvestreyische Volksversammlung, das Allthing, konnte weiterhin einmal jährlich tagen. Gerade die Christen auf Vestreyja begrüßten die Eingliederung ins Kaiserreich sogar, ebenso die reichen heidnischen Kaufleute, die auf neue Absatzmärkte hofften. Diese Hoffnung wurde in der Tat erfüllt: Die Besetzung Vestreyjas durch die Hanse und den Orden öffnete die turanischen Märkte insbesondere für die Produkte des nordmeerischen Walfangs und für den berühmten neuturanischen Eiswein.
    An dieser Stelle möchte ich in einem kleinen Exkurs die Geschichte Neuturaniens bis zur Eroberung durch das Kaiserreich skizzieren. Beginnen möchte ich in der Bronzezeit, als erste Siedler die Insel erreichten. Sie kamen aus dem Süden und besiedelten vor allem den Westen Vestreyjas, wo noch immer Großsteingräber an sie erinnern. Etwa 200 vor Christus erreichte eine erste Welle nordischer Siedler den Osten der Insel. Aus dieser Zeit stammt der "Alte Mann von Gratstadt", ein früher Nordmann, dessen Grab bei Gratstadt gefunden wurde. Eine zweite Welle nordischer Einwanderung ereignete sich etwa 400 Jahre später. Diese zweite Einwanderungswelle trennt in der klassischen vestreyischen Geschichtsschreibung die Alte Zeit (Fornöldstíð) von der Zeit der Jarle (Jarlstíð).

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  • Sagen wir mal so: Sie konnten ihre Geschicke nicht mehr in vollem Umfang selbst entscheiden. Auf lokaler Ebene ging alles seinen gewohnten Gang, da änderte sich zunächst gar nichts. Lediglich auf Inselebene konnte das Allthing seine Beschlüsse nicht mehr selbst umsetzen, sondern musste sie vom Präfekten bestätigen lassen und von der kaiserlichen Verwaltung umsetzen lassen. Ein richtiger Einschnitt für die Insulaner war erst die schrittweise Einführung des turanischen Lehnswesens auf Vestreyja.
    Seit der nordischen Einwanderung war die Insel in verschiedene Jarltümer gegliedert. Die Jarle waren ursprünglich Kriegsherren, die sich von Osten her kommend mit ihren Gefolgschaften Gebiete auf Vestreyja eroberten. Bei Herms erinnert heute noch die Jarlsvik, die Bucht der Jarle, an diese Eroberung. Der Herrschaftsbereich eines solchen Jarls war selten größer als einige Dörfer. Und so konnte kein Jarl je die Vorherrschaft über andere erlangen. Im Laufe der Zeit wurden die Jarle schließlich zu einer Art bloßen Bürgermeistern, während sich die Mitbestimmung des Volkes auf lokaler Ebene und ab etwa 600 nach Christus auf Inselebene zu einer Frühform von Demokratie entwickelte.
    Durch die turanische Eroberung wurde aus dieser Demokratie ein frühmoderner Obrigkeitsstaat ohne Mitbestimmung des Volkes. Die Macht ging auf die turanischstämmigen Grundherren über. Das Allthing verlor immer mehr Befugnisse, war sehr schnell nur noch ein Gericht statt einem Parlament und wurde schließlich im Jahre 1511 aufgelöst. An seine Stelle trat ein Reichsgericht für Neuturanien. Damit war die alte Verfassung Vestreyjas endgültig beendet. Eine der Familien turanischstämmiger Grundherren, von denen ich sprach, sind übrigens die von Helmrich-Groningen, von denen Sie vielleicht schon gehört haben.

    Dr. Everhard Gscheidt
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  • Ah, verstehe. Ja, Helmrich-Groningen ist der turanische Name des Ortes. Auf Vestreyisch heißt er Græningabyggð. Das bedeutet meines Wissens so viel wie "Siedlung der Græninger", anscheinend nach einer altvestreyischen Sippe benannt. Das noch heute existierende Adelsgeschlecht derer von Helmrich-Groningen hat mittlerweile seinen Sitz wieder in Nordturanien. Es stammt ursprünglich aus dem Ort Helmrichsdorf, seine Angehörigen waren die Helmriche. Ein Seitenzweig des Geschlechts wanderte nach der Eroberung Vestreyjas auf die Insel aus und erhielt die Grundherrschaft in und um Græningabyggð, welches in turanischer Sprache Groningen genannt wurde. Der ausgewanderte Zweig des Geschlechts nannte sich daraufhin zunächst Helmrich von Groningen. Später wurden die beiden Nachnamen zusammengezogen. Der Ort selbst wurde meines Wissens erst im 20. Jahrhundert umbenannt.
    Dem Geschlecht entstammt der berühmte nordturanische Feldmarschall Theodor von Helmrich-Groningen.

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  • Warten Sie... ich habe hier irgendwo ein Lexikon der turanischen Geschichte... da müsste er eigentlich verzeichnet... ja, hier ist es!


    Schlägt das Buch auf, blättert kurz darin und reicht es dann an Odinsson weiter. Mit seinem rechten Zeigefinger weist er auf den Eintrag über den Feldmarschall.


    Theodor von Helmrich-Groningen


    *26.04.1849 Aarburg +03.11.1923 ebd., nordturanischer Generalstabschef (1907-12), entstammte einer alten Familie neuturanischer Gutsbesitzer aus dem Ort Groningen (seit 1998 Helmrich-Groningen) bei Bergen, die die Insel 1822 verlassen musste und sich in Nordturanien ansiedelte. Helmrich-Groningen folgte seinem Vater und Großvater ins nordturanische Militär und wurde 1883 als Major in den Generalstab berufen, dessen Chef er 1907 im Rang eines Generalobersten wurde. 1911 zum Generalfeldmarschall befördert, wurde er 1912 erster Befehlshaber der neuaufgestellten Bundesarmee. Im Alter von 72 Jahren zog er sich 1921 auf seinen Landsitz bei Aarburg zurück und verstarb dort zwei Jahre darauf. Nach Helmrich-Groningen ist ein nordturanischer Flugzeugträger benannt, der seit 2003 im großturanischen Thorshaven stationiert ist.


    Dr. Everhard Gscheidt
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  • Ich fasse noch einmal kurz die wichtigsten Daten der vestreyischen Geschichte zusammen. Dann schließen wir diesen Bereich des Kurses ab, sofern keine Fragen mehr bestehen.


    Ich beginne mit der Zeit um 1700 vor Christus, der vermutlichen Erstbesiedlung am Übergang von Stein- zur Bronzezeit.
    Um 200 vor Christus erfolgt eine erste Einwanderungswelle von Osten her, von der Nordmark.
    Eine zweite Welle erreichte Vestreyja rund 400 Jahre später. Die Sage verbindet diese Einwanderung mit dem ersten Jarl, Askold dem Roten. Er soll mit "drei Kielen" (also Schiffen) gekommen sein und die Insel erobert haben.
    Es entstand die Herrschaft der Jarle, eine Reihe mehr oder weniger unabhängiger Kleinkönigreiche.
    Im Jahr 637 rief Großbauer Gunnbjörn Svartabrún ("Gunnbjörn mit der schwarzen Braue") die freien Männer der Insel ins Thingtal zum ersten Allthing. Man setzte die Jarle ab und begründete die Demokratie.
    1396 überfallen Piraten das Hansekontor von Bergen und plündern es.
    1398 landete die turanische Flotte auf Vestreyja und eroberte die Insel.
    1404 wurde Vestreyja formell Teil des Kaiserreichs.
    1610 (nicht 1510, wie ich vorhin sagte) wurde das Allthing als Schöffengericht endgültig aufgelöst.


    Noch Fragen?

    Dr. Everhard Gscheidt
    Professor für Turanische Vor- und Frühgeschichte



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  • Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Wie ich sagte, war das Allthing eigentlich die Volksversammlung Vestreyjas, die Versammlung der freien Männer. Verbunden war es mit einem Volksfest. Nach der turanischen Eroberung verlor das Allthing seine Gesetzgebungsgewalt, blieb aber für die Vestreyjer als Gericht zuständig. (Für die Turanier war ein anderes, ein kaiserliches Gericht zuständig.) Im Laufe der Zeit änderte sich die Zusammensetzung des Allthings. Aus der Versammlung aller freien Männer wurde ein Gericht, das aus gewählten Schöffen, also Laienrichtern, bestand.

    Dr. Everhard Gscheidt
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