Geschichte und Entwicklung des turanischen Fernsehens

  • Bislang haben wir nur vom Sender Grünau gesprochen, der Keimzelle des Fernsehens in Turanien. Es gab aber durchaus auch andernorts Versuche, eigene reguläre Sender aufzubauen. Am fortgeschrittensten waren diese Versuche im nordturanischen Heimgard und im kleinturanischen Freyburg, der Hauptstadt des Turanischen Bundes.


    1944 fusionierte der Sender Grünau mit dem in Heimgard und einigen im Aufbau begriffenen kleineren Sendern im ganzen Land. Das gemeinsame Fernsehprogramm, das von nun an täglich gesendet wurde, firmierte fortan unter dem Namen "Turanisches Fernsehen". Möglich machte die Fusion ein Breitbandkabel, das man durch das Land gelegt hatte und das die einzelnen Sender nun verband. Breitband ist natürlich relativ: Es reichte, um 498 Bildzeilen in Schwarzweiß "live" zu übertragen. Von heutigem Breitband ist es weit entfernt.


    Durch den weiteren Ausbau des Sendernetzes und die technische Verbesserung der Sendeleistung sendete der Senderverbund des "Turanisches Fernsehens" ab etwa 1950 prinzipiell landesweit. Lediglich in einigen Gebirgstälern und in entlegenen Ecken des Landes ist das Programm nicht oder nur gestört zu empfangen. 1955 wurde werktags von 18 bis 22 Uhr gesendet, am Samstag und Sonntag meist von 17 bis 23 Uhr. Zu dieser Zeit reden wir von immerhin einer fünfstelligen Zahl von Fernsehgeräten in Turanien.


    Wenn wir vom "Turanischen Fernsehen" sprechen, sprechen wir für Mitte der 1950er Jahre von einem landesweit einheitlichen Programm. Es gab allerdings ein zweites Programm: den Sender Freyburg. Der schloss sich dem Verbund nicht an und blieb unabhängig. Man fürchtete um den kleinturanischen Einfluss. So konnten sich die Menschen in Kleinturanien schon damals zwischen zwei Fernsehprogrammen entscheiden: einem regionalen und einem turanienweiten. Außerhalb Kleinturaniens war das - wenn man mal von Grenzgebieten absieht - nicht möglich.

  • Ganz am Anfang gab es keine Werbung. Da ja kaum jemand das Programm verfolgen konnte, hätte sich das nicht gelohnt. Mit zunehmender Reichweite änderte sich das. Die 50er Jahre sind geradezu der Höhepunkt des frühen Werbefernsehens. Es gab Sendungen, die von bestimmten Unternehmen präsentiert wurden, klassische Werbespots und auch Schleichwerbung. Der Sender hatte ein Interesse an zahlenden Werbekunden, weil er dringend auf Einnahmen angewiesen war. Eine Finanzierung über eine Mediengebühr wie heute gab es noch nicht.

  • Wodurch unterschied sich das Programm in Kleinturanien denn vom ersten, turanienweiten, Programm? Gab es dort vollkommen andere Sendeformate, andere Ansichten zum hauptturanischen "Mainstream"?

  • Die Sendeformate waren ähnlich, in Kleinturanien aber naheliegenderweise regionaler ausgerichtet. Und: Der Programmschwerpunkt lag etwas mehr auf dem informativ-kulturellen Bereich und weniger auf bloßer Unterhaltung.

  • "Regional ausgerichtet" ist auch das Stichwort für das Jahr 1956. Damals führte das "Turanische Fernsehen" nämlich sogenannte Regionalfenster ein. Statt über alle Sender ein turanienweit einheitliches Programm zu senden, gab man den einzelnen Sendern die Möglichkeit, außerhalb der bisherigen "Hauptsendezeit" eigene Inhalte zu produzieren und zu übertragen. Auf diese Weise verlängerte sich auch die Gesamtsendezeit pro Tag deutlich. Wobei man dazu sagen muss, dass die Regionalfenster je nach Wochentag und Sender höchst unterschiedlich genutzt wurden.

  • macht sich Notizen


    Also wurde im Prinzip das Prinzip aus Kleinturanien ausgeweitet? Oder wurden zusätzliche Sendezeiten "geschaffen"?

  • Sagen wir mal so: Das "Turanische Fernsehen" näherte sich so der Programmgestaltung in Kleinturanien an. Allerdings nicht auf Kosten des landesweit einheitlichen Hauptprogramms, sondern als Ergänzung. Sie haben das schon richtig erkannt: Es wurden sozusagen zusätzliche Sendezeiten geschaffen. Die regionale Berichterstattung und Programmgestaltung endete stets spätestens um 18 Uhr, wenn das Hauptprogramm begann.

    Und: Es gab weiterhin keine Kooperation mit dem kleinturanischen Sender Freyburg. Das kam erst im nächsten Schritt, nämlich bei der Entwicklung des Farbfernsehens. Fragen bis hierher?

  • schaut auf seinen Notizblock und findet, dass er einen sehr schönen Fernseher gezeichnet hat


    Danke, derzeit keine :)

  • Bevor wir zum Farbfernsehen übergehen, möchte ich noch einen Blick auf den Hörfunk werfen. Oder, um im Bild zu bleiben: ein Ohr. Anders als in anderen Ländern (auch innerhalb der Föderation) gehen Radio und Fernsehen in Turanien nicht Hand in Hand. Bis heute gibt es keine gemeinsame Rundfunkanstalt, die beides anbieten würde. Das hat historische Gründe.


    Ich erwähnte vorhin den Beginn des Funkzeitalters in Turanien, den "Funkdienst" des Militärs und die "Eisach-Funkstunde". Die "Funkstunde" war ein privater Hörfunkanbieter in Freyburg. Er sendete anfangs eine Stunde pro Tag. Der Aufwand, ein regelmäßiges Hörfunkprogramm zu produzieren, ist ungleich geringer als ein vergleichbares Fernsehprogramm, zumindest in jener Zeit. Wir sprechen von den 20er Jahren. Im ganzen Land entstanden damals private Radiostationen. Der Staat beschränkte sich meist auf die Frequenzvergabe durch das DFW.


    Dies änderte sich Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre. Eine Wirtschaftskrise erreichte Turanien, Massenarbeitslosigkeit drohte. Um einen Zusammenbruch des Systems und eine mögliche Radikalisierung der Menschen zu vermeiden – in unserem Nachbarstaat Valorien etwa kam es zu kommunistischen Aufständen mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen – griff der Staat massiv in die Wirtschaft ein, um die Schieflage zu beseitigen oder zumindest zu bessern. Damals entstand etwa durch die Fusion zweier privater Unternehmen die staatliche Fluggesellschaft AeroTur. Der Staat konnte im Zweifelsfall mehr Gelder locker machen als private Unternehmer.


    Das galt auch im Hörfunkbereich. Die "Eisach-Funkstunde" wurde quasi verstaatlicht und in den öffentlichen Sender "Radio Freyburg" überführt. So erging es einigen Anbietern. Andere gingen zugrunde oder überlebten in privater Hand. Hier in Turan zum Beispiel entstand nach dem Freyburger Vorbild "Radio Turan". Ein Interesse, sich über die neue Technik des Fernsehens die eigene Konkurrenz heranzuzüchten, hatten diese Sender nicht. Deshalb ging die Entwicklung des Fernsehens eigene Wege. Zu den Pionieren entwickelten sich insbesondere die Universitäten.

  • Ich habe jetzt das Bild diverser privater "Piratensender" vor mir, die ungefiltert die Informationen, Lieder und Meinungen senden, die sie senden möchten.

    Trifft das zu? Oder wurde die Sendervielfalt durch die Kosten und die technischen Voraussetzungen noch etwas vorgefiltert?

  • So könnte man das ausdrücken, ja. Die Hürden, ein eigenes Programm zu gestalten, waren so hoch, dass es keine unseriösen Anbieter gab. Allerdings unterschieden sich die privaten Sender von den staatlichen bzw. öffentlichen durch ein Mehr an Musik und Unterhaltung. Die öffentlichen Sender sahen ihren Auftrag mehr in Information und Bildung.

  • Wenn zum Thema Radio akut keine Fragen mehr bestehen, widme ich mich nun dem Farbfernsehen. Von den ersten Vorarbeiten bis zur turanienweiten Umsetzung liegen mehr als zehn Jahre. Ab etwa 1960 kooperierte bei der aufwendigen Entwicklung der "Sender Freyburg" erstmals mit dem "Turanischen Fernsehen". Diese Zusammenarbeit ging einher mit der Einsicht in Kleinturanien, auf Dauer dem landesweiten Senderverbund nicht gewachsen zu sein. Es zeigte sich nämlich, dass auch die kleinturanischen TV-Zuschauer lieber das "Turanische Fernsehen" schauten als den "Sender Freyburg". Eine Katastrophe für die Verantwortlichen, die förmlich dazu zwang, die Kooperation zu suchen! 1969 wurde das Farbfernsehen schließlich eingeführt – deutlich später als zunächst erhofft. Davor stand eine der großen Krisen der jüngeren turanischen Geschichte.

  • horcht auf


    Oh, die turanische Geschichte spielt da mit rein? Krise? Das klingt noch einmal spannender... aber erstmal warte ich ab, um was für eine Krise es sich handelte und wie der Start des Farbfernsehens vonstatten ging.

  • Ende der 1950er und Anfang der 60er Jahre ereilte die turanische Halbinsel eine neue, die sogenannte "zweite turanische Wirtschaftskrise". Besonders betroffen war Kleinturanien. Das Land bildete einen der regionalen Schwerpunkte der Unabhängigen Arbeiter-Partei UAP, einer in den 30er Jahren entstandenen radikalen Abspaltung der Sozialdemokratie, die linkspopulistische mit extrem rechten Inhalten verknüpfte, einen "völkischen Sozialismus" vertrat und mit Hass und Hetze gegen Ausländer und Kapitalisten gleichermaßen zu punkten versuchte.


    Die UAP trat flächendeckend als eine der ersten gesamtturanischen Parteien zu Wahlen an. Nirgends hatte sie so großen Erfolg wie in Kleinturanien. Hier erreichte sie 1963 unter "Arbeiterführer" Alwin Dominegk, einem Hafenarbeiter aus Freyhafen, ihr bestes Ergebnis: praktisch gleichauf mit den Liberaldemokraten und den Sozialdemokraten. Der sozialdemokratische Regierungschef Norbert Hämmerer bildete eine Koalition mit der UAP und überließ Dominegks Mannen das Innen- und das Wirtschaftsressort. Um die Macht nicht zu verlieren, schob Hämmerer alle in seiner Partei bestehenden Bedenken hinsichtlich der UAP beiseite.


    Die Politik in Kleinturanien, aber auch in den anderen turanischen Ländern, änderte sich dadurch deutlich. Im Parlament kam es zu tumultartigen Szenen, Beleidigungen und Handgreiflichkeiten waren an der Tagesordnung. Auf den Straßen kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den sogenannten "Arbeiterkampfgruppen" der UAP und Oppositionellen, an den Universitäten zwischen Studenten des "Unabhängigen Studentenbunds" USB und konservativen oder liberalen Hochschülern. Die großen Unternehmen wurden unter staatliche Kontrolle gestellt, die Kampfgruppen sollten "den Kapitalisten auf die Finger schauen".


    Auf dem Höhepunkt der politischen Krise verübte 1964 ein UAP-Anhänger ein Attentat auf den kleinturanischen Oppositionsführer Walther Laurentius, der dabei schwer verletzt wurde. Nun distanzierte sich Norbert Hämmerer erstmals deutlich von der UAP und kündigte die Koalition auf. Gegen Dominegk und weitere Parteiführer, die verdächtigt wurden, von den Attentatsplänen gewusst oder sie sogar beauftragt zu haben, wurde wegen versuchten Mordes und "verfassungsfeindlichen Umsturzes" ein turanienweiter Haftbefehl ausgestellt, die Partei sollte verboten werden. Während die Anhänger der UAP sich teils gewaltsam widersetzten, floh Dominegk in die Berge Großturaniens und verschanzte sich dort in einem Bauernhof. Als die Polizei das Anwesen stürmen wollte, tötete er sich selbst.


    Die Krise – sowohl die politische als auch die wirtschaftliche – betraf auch die beiden Fernsehprogramme und die Entwicklung des Farbfernsehens, die dadurch zurückgeworfen wurde. Mehr denn je verfestigte sich durch die Affäre Dominegk aber in Kleinturanien die Überzeugung, dass eine gemeinsame Sendeanstalt für ganz Turanien notwendig ist. So begann Mitte der 60er Jahre der Aufbau einer zweiten Senderkette, die zwei turanienweite Programme ermöglichen sollte. Die Entwicklung des Farbfernsehens ging in die entscheidende Phase.


    1969 war es soweit: Das Farbfernsehen begann seinen Regelbetrieb. Erstmals wurden in diesem Jahr in ganz Turanien mehr als 200.000 Fernsehgeräte verkauft – die meisten freilich noch Schwarzweiß. Mit dem Start des Farbfernsehens schloss sich der "Sender Freyburg" auch formell dem Senderverbund des "Turanischen Fernsehens" an. Fortan gab es zwei Programme: Aus dem bisherigen Turanischen Fernsehen wurde "Turanien 1" (Sitz der Programmdirektion war Turan-Grünau), aus dem kleinturanischen Programm wurde "Turanien 2" (Programmdirektion in Freyburg). Die Regionalfenster des Turanischen Fernsehens, die nun zu festen Zeiten und obligatorisch vorgesehen waren, übernahm "Turanien 2".


    Bis heute unterscheiden sich beide Programme in ihren Schwerpunkten: "Turanien 1" ist ein klassisches Vollprogramm mit Nachrichten, Sport und Unterhaltung, "Turanien 2" ist regionaler und legt mehr Wert auf Kultur und Information. So ähnlich ist es übrigens auch bei den öffentlichen Hörfunkprogrammen: Bei Radio Freyburg zum Beispiel ist RF1 das Vollprogramm, RF2 der Kultursender und RF3 richtet sich als (primär) Unterhaltungsprogramm vor allem an jüngere Leute.

  • Verdammte Nazikommunisten!


    hält sich die Hand vor den Mund - der Zwischenruf kam mehr reflexartig denn gezielt


    Entschuldigung.


    beschließt, sich mit der turanischen Geschichte demnächst näher auseinanderzusetzen


    Inwieweit - wenn überhaupt - hatte das kleinturanische Fernsehen einen Beitrag am Aufstieg Dominegks und der UAP?

  • Ich glaube, direkt beigetragen zum Aufstieg der UAP hat es nicht. Allerdings berichtete der "Sender Freyburg" natürlich über die wirtschaftliche Krise und stärkte so in Teilen der Bevölkerung den Wunsch nach (radikaler) Veränderung. Gleichzeitig konnte Dominegk den Sender als "Sprachrohr der Mächtigen" attackieren. Kaum an der Regierung, wollte ihn die UAP ihrem Einfluss unterwerfen. Das war vielleicht der entscheidende Punkt, der die Kleinturanier von der Notwendigkeit überzeugt hat, sich einem parteipolitisch unabhängigen öffentlich-rechtlichen gesamtturanischen Fernsehen anzuschließen.


  • Apropos öffentlich-rechtlich: Wir nutzen diesen Ausdruck ganz selbstverständlich für die nichtprivaten Fernseh- und Hörfunkanstalten. Aber was heißt "öffentlich-rechtlich" eigentlich konkret? Und warum sind die Sender, die wir bisher betrachtet haben, öffentlich-rechtlich organisiert? Auch das hat gewissermaßen historische Gründe, die in der Anfangszeit dieser Medien liegen.


    Blicken wir zurück ins Jahr 1937: Der Versuchssender Grünau, aus dem damals der erste reguläre Fernsehsender Turaniens hervorging, war eine Einrichtung der Olaus-Borg-Universität in Turan. Die OBU war und ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. Aus heutiger Sicht muss man hinzufügen: Eine altrechtliche Körperschaft des öffentlichen Rechts. Altrechtlich deshalb, weil es damals noch keine Föderation gab und somit auch kein öffentliches Recht der Föderation. Stattdessen galt großturanisches Recht. Dieses unterscheidet sich aber nur minimal vom heutigen Recht.


    In jedem Fall war damit auch das von der OBU ausgehende Fernseh-Projekt Teil der öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltung der Uni. Anfangs allerdings war der "Sender Grünau" noch nicht eigenständig, sondern wurde ganz von der OBU vertreten. Durch den Zusammenschluss mit den anderen, insbesondere dem Heimgarder Versuchssender, musste das Projekt ausgegliedert werden. Es behielt aber seine Selbstverwaltung und war damit rechtlich den staatlichen Universitäten oder auch den selbstverwalteten Kommunen gleichgestellt.


    Das heißt: Formell unterstand das Fernsehen der Aufsicht durch die Regierungen der turanischen Länder. Einfluss auf die Programmgestaltung konnten die aber nicht nehmen, solange sich alles im Rahmen der Gesetze bewegte. Später wurde ein Beirat errichtet, in dem zunächst Vertreter der Geldgeber und Kooperationspartner saßen, später aber zunehmend auch von anerkannten Kulturorganisationen und des Staates.


    Etwas anders war die Entwicklung beim "Sender Freyburg". Er war enger an den Staat – also konkret: Kleinturanien – gekoppelt als das "Turanische Fernsehen". Durch den 1969 vollzogenen Zusammenschluss fand man eine Kompromissformell, um für die neue gesamtturanische Sendeanstalt einerseits eine demokratische gesamtgesellschaftliche Kontrolle und Einbindung zu erreichen, andererseits aber einen möglichen Einfluss der Regierungen weitestgehend auszuschließen.